Отель / Hotel Хейли Артур
Vor zehn Minuten, als er erkannte, da die Ampel nicht funktionierte, hatte er ber Sprechfunk Meldung gemacht, sein Motorrad geparkt und sich mitten auf die Kreuzung gestellt. Er hoffte, da die Reparaturkolonne sich Zeit lassen wrde.
Von der gegenberliegenden Straenseite aus sah Clancy, wie der graue Ford langsamer wurde und stoppte. Er schlenderte gemchlich hinber. Keycase sa noch immer regungslos am Steuer.
Clancy betrachtete das eine Hinterrad, das auf der Felge sa.
»Plattfu, eh?«
Keycase nickte. Wre Clancy ein guter Beobachter gewesen, htten ihm die weien Fingerknchel des Fahrers, der noch immer das Lenkrad umklammerte, auffallen mssen. Keycase dachte voller erbitterter Selbstvorwrfe an die einzige Nachlssigkeit, die ihm bei seiner sorgsamen Planung unterlaufen war. Der Reservereifen und das Werkzeug befanden sich im Kofferraum, zusammen mit den Pelzmnteln, dem Silberzeug und diversen anderen Gepckstcken.
Er wartete schwitzend. Der Polizist machte keine Anstalten, wieder wegzugehen.
»Schtze, Sie mssen das Rad wechseln, eh?«
Wieder nickte Keycase. Seine Gedanken rasten. In hchstens drei Minuten konnte er es schaffen. Wagenheber! Schraubenschlssel! Radmuttern abschrauben! Rad weg! Reserverad drauf! Muttern festschrauben! Rad und Wagenheber und Schraubenschlssel auf den Rcksitz! Kofferraum zu! Und nichts wie weg. Wenn der Polyp blo abhauen wrde.
Andere Wagen kamen von hinten und kurvten um den Ford herum. Mehrere muten stoppen, bevor sie nach links ausscheren konnten. Einer fuhr zu frh heraus. Bremsen quietschten, eine Hupe gellte protestierend. Der Polizist beugte sich vor und sttzte sich mit den Armen auf das heruntergedrehte Fenster neben Keycase.
»Wird hier allmhlich ein bichen brenzlig.«
»Ja.« Keycase schluckte.
Der Polizist richtete sich auf und ffnete die Wagentr. »Na, dann wird's Zeit, da wir was tun.«
Keycase zog den Zndschlssel heraus. Er kletterte langsam aus dem Wagen und zwang sich zu einem Lcheln. »Schon gut.
Ich pack' das auch allein.«
Er wartete und hielt die Luft an, whrend der Beamte zur Kreuzung hinbersah.
Clancy sagte gutmtig: »Ich helfe Ihnen.«
Es kostete Keycase unsgliche Anstrengung, sich zu beherrschen, den Wagen nicht einfach im Stich zu lassen und wegzulaufen. Er verzichtete darauf, weil es ohnehin zwecklos gewesen wre. Resigniert schlo er den Kofferraum auf und ffnete ihn.
Eine knappe Minute spter hatte er den Wagenheber angesetzt, die Radmuttern losgeschraubt. Whrend er in rasender Eile arbeitete, betrachtete der Polizist die Pelzmntel, die im Kofferraum wirr aufeinanderlagen. Bisher hatte er sich erstaunlicherweise noch nicht dazu geuert.
Keycase konnte nicht ahnen, da Clancys Denkproze eine gewisse Anlaufzeit brauchte.
Clancy beugte sich vor und befingerte einen von den Mnteln.
»Bichen hei fr das Zeug.« In den letzten zehn Tagen war die Temperatur in der Stadt nie unter fnfunddriig Grad im Schatten gesunken.
»Meine Frau... ist sehr empfindlich.«
Das alte Rad war abgenommen. Keycase ffnete die hintere Tr und warf es auf den Rcksitz.
Der Polizist streckte den Hals und sphte um die aufgeklappte Haube des Kofferraums herum ins Wageninnere.
»Haben die kleine Dame nicht bei sich, eh?«
»Bin gerade auf dem Weg, um sie abzuholen.«
Keycase zerrte verzweifelt am Reserverad. Die Verschlumutter war schwer beweglich. Er brach sich einen Fingernagel ab und ri sich die Haut auf. Den Schmerz ignorierend, hievte er das Rad aus dem Kofferraum.
»Sieht irgendwie komisch aus, der Kram da.«
Keycase erstarrte. Er wagte nicht, sich zu rhren. Er war auf Golgatha angelangt. Und eine pltzliche Erkenntnis sagte ihm, warum.
Das Schicksal hatte ihm eine Chance gegeben, und er hatte sie in den Wind geschlagen. Es spielte keine Rolle, da er die Entscheidung nur in Gedanken gefllt hatte. Das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint, aber Keycase hatte sich dieser Gte nicht wrdig gezeigt und sie verschmht. Nun hatte das Schicksal sich zornig von ihm abgewandt.
Entsetzen packte ihn, als ihm einfiel, was er vor ein paar Minuten so leichtherzig vergessen hatte - der hohe Preis, den er noch fr eine Verurteilung wrde zahlen mssen; die lange Haft, die vielleicht den Rest seines Lebens dauern wrde. Die Freiheit war ihm niemals kostbarer erschienen. Eine halbe Welt schien ihn von dem so nahen Expressway zu trennen.
Jetzt endlich begriff Keycase, was die Vorzeichen der letzten anderthalb Tage wirklich bedeuteten. Sie hatten ihm Befreiung dargeboten, die Mglichkeit zu einem neuen, anstndigen Leben, ein Entrinnen in das Morgen. Htte er es doch nur eher begriffen!
Statt dessen hatte er die Zeichen falsch gelesen. Arrogant und selbstgefllig hatte er seiner eigenen Unbesiegbarkeit zugeschrieben, was er doch nur der Gte des Schicksals zu verdanken hatte. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Und das war nun das Ergebnis. Nun kam jede Reue zu spt.
Oder nicht? War es jemals zu spt - fr ein wenig Hoffnung? Keycase schlo die Augen.
Er gab sich das Versprechen - und er wute, da er es halten wrde, falls man ihm die Chance dazu gab -, da er nie wieder -in seinem ganzen Leben nicht - auch nur eine einzige unehrliche Handlung begehen wollte, wenn er diesmal mit heiler Haut davonkam.
Keycase machte die Augen auf. Der Polizist war zu einem anderen Wagen gegangen, dessen Fahrer angehalten hatte, um sich nach dem Weg zu erkundigen.
Mit einer Geschwindigkeit, die er sich niemals zugetraut htte, zog Keycase das Reserverad auf, schraubte die Radmuttern fest, drehte den Wagenheber herunter und schleuderte ihn in den Kofferraum. Sogar jetzt zog er, wie es sich fr einen guten Mechaniker gehrte, die Muttern noch einmal fest an, als das Rad auf dem Boden stand. Er hatte den Kofferraum bereits wieder umgepackt, als der Polizist zurckkehrte.
Clancy nickte billigend; seinen Verdacht hatte er lngst vergessen. »Fertig?«
Keycase knallte den Kofferraumdeckel zu. Zum erstenmal fiel Schutzmann Clancy das Nummernschild von Michigan ins Auge.
Michigan. Grn auf Wei. In der Tiefe von Clancys Gedchtnis rhrte sich etwas.
War es heute gewesen, gestern, vorgestern...? Beim Appell hatte sein Vorgesetzter die letzten offiziellen Bekanntmachungen laut vorgelesen... Irgend etwas ber Grn und Wei war auch darin vorgekommen...
Clancy wnschte, er knnte sich daran erinnern. Es gab immer so viele Bekanntmachungen - ber steckbrieflich gesuchte Kriminelle, ber vermit gemeldete Personen, gestohlene Wagen, Einbrche. Jeden Tag kritzelten die eifrigen, klugen, jungen Brschchen aus der Truppe in ihr Notizbuch, prgten sich die Informationen ein, lernten sie auswendig. Clancy versuchte es. Er versuchte es jedesmal. Da der Leutnant aber sehr schnell sprach und Clancy sehr langsam schrieb, geriet er unvermeidlich ins Hintertreffen. Grn und Wei. Er wnschte, er knnte sich erinnern.
Er zeigte auf das Nummernschild. »Michigan, eh?«
Keycase nickte und wartete dumpf. Die immer neuen Schicksalsschlge hatten ihn allmhlich abgestumpft.
»Wasserwunderland«, las Clancy laut von dem Schild ab. »Wie ich hre, kann man bei euch oben prima angeln.«
»Ja..., das stimmt.«
»Wrde gern mal da rauffahren. Bin selbst 'n begeisterter Angler.«
Von hinten ertnte ungeduldiges Hupen. Clancy hielt die Wagentr auf. Es schien ihm pltzlich wieder einzufallen, da er Polizeibeamter war. »Machen Sie die Fahrbahn frei.« Grn und Wei. Er wurde den Gedanken daran nicht los.
Der Motor sprang an. Keycase fuhr an und gab Gas. Clancy sah ihm nach. Vorsichtig, weder zu langsam noch zu schnell, steuerte Keycase die Auffahrt zum Expressway an. Sein Entschlu, ein neues Leben zu beginnen, stand unerschtterlich fest.
Grn und Wei. Clancy schttelte den Kopf und kehrte auf seinen Posten an der Kreuzung zurck. Nicht umsonst wurde er der dmmste Schupo in der ganzen Polizei genannt.
17
Die blau-weie Polizeiambulanz mit dem rotierenden Blaulicht schwenkte von der Tulane Avenue in die Einfahrt zur Erste-Hilfe-Station des Charity-Hospitals ein. Sie hielt. Die Tren wurden aufgerissen. Die Bahre, auf der Dodo lag, wurde herausgehoben und von Krankenhelfern mit gebter Schnelligkeit durch ein Portal gerollt. Es trug die Aufschrift: »Aufnahme - ambulante Patienten -Wei.«
Curtis O'Keefe folgte im Laufschritt, um nicht den Anschlu zu verlieren.
Ein Helfer an der Spitze rief: »Ein dringender Fall! Platz machen, bitte!« Gruppen plaudernder Menschen, die in der Vorhalle auf Abfertigung warteten, traten zurck, um die kleine Prozession vorbeizulassen. Augen folgten ihr neugierig. Dodos bleiches, wchsernes Gesicht zog die meisten Blicke auf sich.
Schwingtren mit der Aufschrift »Unfallstation« ffneten sich weit, um die Bahre hindurchzulassen. Dahinter waren Schwestern, rzte, noch mehr Bahren und hektische Betriebsamkeit. Ein Helfer blockierte Curtis O'Keefe den Weg. »Warten Sie bitte hier drauen.«
O'Keefe protestierte. »Ich mchte wissen...«
Eine Schwester, die gerade hineinging, blieb stehen. »Alles menschenmgliche wird getan. Sie knnen nachher mit einem Arzt sprechen.« Die Schwingtr schlug hinter ihr zu.
Curtis O'Keefe starrte die Tr an mit feuchten Augen, Verzweiflung im Herzen.
Vor noch nicht mal einer Stunde, nach dem Abschied von Dodo, war er verstrt im Salon der Suite auf und ab gegangen. Sein Instinkt sagte ihm, da er etwas verloren hatte, das er vielleicht in seinem ganzen Leben nicht wiederfinden wrde. Er machte sich ber diese Anwandlung lustig. Andere Frauen vor Dodo waren gekommen und gegangen. Er hatte den Abschied von ihnen berlebt. Der Gedanke, da es diesmal anders sein knnte, war absurd.
Dennoch erlag er fast der Versuchung, Dodo nachzulaufen, die Trennung von ihr fr einige Stunden aufzuschieben und seine Gefhle noch einmal grndlich zu berprfen. Die Vernunft hatte schlielich gesiegt. Er blieb, wo er war.
Ein paar Minuten darauf hrte er die Sirenen. Zunchst hatte er sich nicht darum gekmmert. Als er dann aber merkte, wie viele es waren und da sie sich allem Anschein nach dem St. Gregory nherten, war er ans Fenster seiner Suite getreten. Die Auffahrt der Lschzge und Ambulanzen vor dem Hotel brachte ihn zu dem Entschlu, hinunterzugehen. Er ging, wie er war - in Hemdsrmeln, ohne sich ein Jackett anzuziehen.
Whrend er in der zwlften Etage auf einen Lift wartete, drangen beunruhigende Gerusche von unten herauf. Als nach fast fnf Minuten noch immer kein Fahrstuhl gekommen war und sich immer mehr Menschen vor der Lifttr ansammelten, wandte sich O'Keefe der Treppe zu. Er entdeckte, da andere Gste denselben Einfall gehabt hatten. In den unteren Stockwerken, wo die Gerusche deutlicher zu hren waren, half ihm sein athletisches Training, schneller voranzukommen.
In der Halle erfuhr er von aufgeregten Zuschauem was geschehen war. In diesem Moment betete er inbrnstig darum, da Dodo das Hotel vor dem Unglck verlassen haben mchte. Gleich danach sah er, wie man sie, bewutlos, aus dem Fahrstuhlschacht trug.
Das gelbe Kleid, das er bewundert hatte, ihr Haar, ihre Glieder waren blutberstrmt. Ihr Gesicht sah aus wie eine Totenmaske.
Bei dem Anblick traf ihn die Wahrheit, gegen die er sich so lange gewehrt hatte, wie ein Blitz, der ihn blendete. Er liebte sie. Von ganzem Herzen, glhend, mehr, als er sagen konnte. Zu spt erkannte er, da er den grten Fehler seines Lebens gemacht hatte, als er Dodo gehen lie.
Whrend er auf die Tr zur Unfallstation starrte, verdammte er seine Blindheit. Die Tr ffnete sich, und eine Schwester scho heraus. Als er sie ansprechen wollte, schttelte sie abwehrend den Kopf und hastete davon.
Er fhlte sich entsetzlich hilflos. Es gab so wenig, was er tun konnte. Aber er wollte es zumindest versuchen.
O'Keefe wandte sich ab und marschierte durch das Krankenhaus. Er streifte durch von Menschen wimmelnde Hallen und Korridore und erreichte schlielich mit Hilfe von Schildern und Pfeilen sein Ziel. Er ffnete Tren mit der Aufschrift »Privat«, ohne sich um die Proteste von Sekretrinnen zu kmmern, und landete vor dem Schreibtisch des Direktors.
Der Direktor erhob sich rgerlich von seinem Sessel. Als Curtis O'Keefe seinen Namen genannt hatte, entspannte sich die Atmosphre.
Fnfzehn Minuten spter kehrte der Direktor aus der Unfallstation zurck, in Begleitung eines schmchtigen, zurckhaltenden Mannes, den er als Dr. Beauclaire vorstellte. Der Arzt und O'Keefe schttelten einander die Hand.
»Wie ich hre, sind Sie ein Freund der jungen Dame..., Miss Lash, glaube ich.«
»Wie geht es ihr, Doktor?«
»Ihr Zustand ist kritisch. Wir tun alles, was wir knnen. Aber ich kann Ihnen leider nicht viel Hoffnung machen. Es ist zu befrchten, da sie nicht mit dem Leben davonkommt.«
O'Keefe stand stumm und tief bekmmert da.
Der Arzt fuhr fort: »Sie hat eine schwere Kopfwunde, die uerlich wie eine eingedrckte Schdelfraktur aussieht. Wahrscheinlich sind Bruchstcke von Knochen ins Gehirn eingedrungen. Nach der Rntgenuntersuchung werden wir Genaueres wissen.«
»Die Patientin mu vorher ins Bewutsein zurckgebracht werden«, erklrte der Direktor.
Dr. Beauclaire nickte. »Sie bekommt gerade eine Bluttransfusion. Sie hat sehr viel Blut verloren. Und wir haben mit der Behandlung gegen Schock begonnen.«
»Wie lange... «
»Die Behandlung wird mindestens noch eine Stunde dauern. Danach mssen wir, falls die Rntgenuntersuchung die Diagnose besttigt, sofort operieren. Befinden sich die nchsten Angehrigen der Patientin in New Orleans?«
O'Keefe schttelte den Kopf.
»Eigentlich spielt das weiter keine Rolle. In einem so dringenden Fall brauchen wir die Erlaubnis der Angehrigen nicht einzuholen.«
»Darf ich sie sehen?«
»Spter, vielleicht.«
»Doktor, falls Sie noch irgend etwas bentigen - in puncto Geld, fachlicher Hilfe... «
Der Direktor unterbrach ihn. »Das ist ein kostenfreies Krankenhaus, Mr. O'Keefe. Es ist fr Bedrftige und dringende Flle wie Unfallopfer und dergleichen bestimmt. Trotzdem werden hier Dienste geleistet, die man mit Geld nicht kaufen kann. Zwei medizinische Akademien befinden sich gleich nebenan. Ihr Personal steht uns jederzeit zur Verfgung. Vielleicht sollte ich Ihnen noch sagen, da Dr. Beauclaire einer der fhrenden Neurochirurgen des Landes ist.«
»Es tut mir leid«, sagte O'Keefe zerknirscht.
»Da wre allerdings eine Sache«, sagte der Arzt.
O'Keefe hob den Kopf.
»Die Patientin ist jetzt nicht bei Bewutsein und unter dem Einflu von Beruhigungsmitteln. Aber vorher hatte sie einige lichte Momente, und da fragte sie nach ihrer Mutter. Wre es mglich, ihre Mutter herzuholen?«
»Selbstverstndlich.« Es war eine Erleichterung fr ihn, da er wenigstens etwas tun konnte.
Von einer Telefonzelle im Korridor aus rief Curtis O'Keefe das O'Keefe-Cuyahoga-Hotel in Akron, Ohio, an. Der Manager Harrison war in seinem Bro.
»Lassen Sie alles stehen und liegen«, befahl O'Keefe. »Ich habe einen uerst wichtigen Auftrag fr Sie, der so schnell wie mglich erledigt werden mu.«
»Ja, Sir.«
»Setzen Sie sich mit einer Mrs. Irene Lash in der Exchange Street, Akron, in Verbindung. Die Hausnummer wei ich nicht.« An die Strae erinnerte sich O'Keefe von dem Tag her, an dem er Dodos Mutter einen Korb mit Frchten geschickt hatte. War es wirklich erst am letzten Dienstag gewesen?
Er hrte, wie Harrison jemandem im Bro zurief: »Ein Adrebuch - schnell!«
O'Keefe fuhr fort: »Suchen Sie Mrs. Lash selbst auf und bringen Sie ihr vorsichtig bei, da ihre Tochter Dorothy bei einem Unfall schwer verletzt wurde und vielleicht sterben wird. Ich mchte, da Mrs. Lash auf schnellstem Weg nach New Orleans geflogen wird. Mit einer Chartermaschine, wenn es sein mu. Die Kosten spielen keine Rolle.«
»Einen Moment, Mr. O'Keefe.« Durch die Leitung kamen Harrisons kurze Kommandos. »Verbinden Sie mich mit Eastern Airlines - dem Verkaufsbro in Cleveland. Legen Sie das Gesprch auf eine andere Leitung. Und danach brauche ich eine Limousine mit einem schnellen Fahrer - am Ausgang Market Street.« Er sprach wieder in den Apparat. »Okay, Mr. O'Keefe, sprechen Sie weiter.«
Sie verabredeten, da Harrison im Charity-Hospital anrufen wrde, sobald er smtliche Arrangements getroffen und Mrs. Lash zur Maschine gebracht hatte.
O'Keefe hngte auf in der berzeugung, da man alle seine Anweisungen aufs pnktlichste befolgen wrde. Ein guter Mann, dieser Harrison. Verdiente vielleicht den leitenden Posten in einem der greren Hotels.
Neunzig Minuten spter besttigte die Rntgenuntersuchung Dr. Beauclaires Diagnose. Ein Operationssaal im zwlften Stockwerk wurde fr die Operation vorbereitet. Der chirurgische Eingriff wrde mehrere Stunden in Anspruch nehmen.
Bevor Dodo in den Operationssaal gerollt wurde, durfte Curtis O'Keefe sie kurz sehen. Sie war bleich und bewutlos. Es kam ihm so vor, als sei all ihre Frische und Vitalitt dahingeschwunden. Nun hatten sich die Tren des Operationssaals hinter ihr geschlossen.
Dodos Mutter war auf dem Weg nach New Orleans. Harrison hatte ihn benachrichtigt. McDermott vom St. Gregory, den O'Keefe vor ein paar Minuten angerufen hatte, wollte jemanden zum Flughafen schicken, der Mrs. Lash in Empfang nehmen und direkt ins Krankenhaus bringen wrde. Vorlufig konnte er nur warten.
O'Keefe hatte das Angebot, sich im Bro des Direktors auszuruhen, abgelehnt. Er wollte im Korridor vor dem Operationssaal ausharren, wie lange es auch dauern mochte.
Pltzlich hatte er das Bedrfnis, zu beten.
Eine Tr in der Nhe trug die Aufschrift: »Damen - farbig.« Eine andere daneben war als Abstellraum gekennzeichnet. Durch die Glasscheibe konnte man sehen, da er dunkel war.
Curtis O'Keefe zwngte sich hinein und tastete sich im Halbdunkel an einem Sauerstoffzelt und einer Eisernen Lunge vorbei. Als er ein freies Fleckchen fand, kniete er nieder. Der Linoleumbelag fhlte sich unter seinen Knien viel hrter an als die Teppiche, an die er gewhnt war. Es machte ihm nichts aus. Er faltete flehend die Hnde und senkte den Kopf.
Seltsamerweise fand er zum erstenmal seit vielen Jahren keine Worte fr das, was ihm am Herzen lag.
18
Die Abenddmmerung senkte sich lindernd auf die Stadt herab. Bald kam die Nacht und brachte Schlaf und fr eine Weile Vergessen. Morgen wrde der Schock ber die heutigen Ereignisse ein wenig abgeklungen sein. Schon die Abenddmmerung leitete einen Proze ein, den die Zeit schlielich vollenden wrde; die Zeit heilte alle Wunden.
Dennoch wrden viele Tage und Nchte dazu gehren, um all jene, die den Ereignissen am nchsten standen, von einem Gefhl der Trauer und des Schreckens zu befreien. Arbeit half einem dabei - milderte den Druck, wenn sie ihn uch nicht ganz lsen konnte.
Seit dem frhen Nachmittag war eine Menge geschehen.
Whrend Peter McDermott allein in seinem Bro im Zwischengescho sa, machte er eine Bestandsaufnahme dessen, was getan worden war und was noch zu tun blieb.
Die harte und traurige Pflicht, die Toten zu identifizieren und die Angehrigen zu benachrichtigen, hatte er bereits hinter sich. Dort, wo das Hotel bei den Beerdigungen Beistand leistete, waren die Vorbereitungen schon im Gange.
Feuerwehr und Polizei waren lngst wieder abgezogen. Inspektoren vom Technischen berwachungsamt waren eingetroffen, die smtliche Fahrsthle des Hotels auf Herz und Nieren prften. Sie wrden die Nacht durcharbeiten und den ganzen nchsten Tag. Einige Fahrsthle waren inzwischen wieder in Betrieb.
Abgesandte von Versicherungen - Mnner mit dsteren Mienen, die bereits mit betrchtlichen Schadenersatzforderungen rechneten - stellten Fragen, nahmen Aussagen zu Protokoll.
Am Montag wrde ein Team von Fachleuten von New York herberfliegen und mit den Plnen fr den Einbau neuer Aufzge an Stelle der alten beginnen. Es wrde die erste grere Ausgabe unter dem neuen Regime Wells-Dempster-McDermott sein.
Das Kndigungsgesuch des Chefingenieurs lag auf Peters Schreibtisch. Er hatte die Absicht, es anzunehmen. Doc Vickery mute ehrenvoll entlassen werden, mit einer Pension, die seiner langjhrigen Dienstzeit im Hotel angemessen war. Peter wrde dafr sorgen, da er gut behandelt wrde.
M. Hebrand, dem Chef de Cuisine, wrde die gleiche Bercksichtigung zuteil werden. Aber seine Pensionierung mute rasch erfolgen, ebenso die Befrderung von Andre Lemieux zum Kchenchef.
Von dem jungen Andre Lemieux - der von Spezialittenrestaurants, intimen Bars, einer Reorganisation des gesamten Verpflegungsfahrplans trumte - wrde die Zukunft des St. Gregory zu einem erheblichen Teil abhngen. Ein Hotel lebte nicht nur vom Zimmervermieten. Es konnte bis zum letzten Platz belegt sein und trotzdem bankrott machen. Die Hauptquelle der Einknfte lag in den Sonderdienstleistungen -Kongressen, Restaurants, Bars.
Neue Leute muten eingestellt, die einzelnen Abteilungen umorganisiert, die Verantwortlichkeiten neu festgelegt werden. Als geschftsfhrender Vizeprsident wrde Peter einen Groteil seiner Zeit mit reinen Verwaltungsfragen und Geschftspolitik zu tun haben. Fr die tgliche Arbeit im Hotel wrde er einen stellvertretenden Direktor brauchen. Es mute ein fhiger junger Mann sein, der das Personal fest in der Hand hatte, aber mit Leuten, die lter waren als er selbst, gut auskam. Ein Absolvent der Hotelfachschule wrde sich fr den Posten vermutlich am besten eignen. Peter beschlo, am Montag den Dekan Robert Beck in der Cornell-Universitt anzurufen. Der Dekan stand mit vielen seiner ehemaligen Studenten in Verbindung. Vielleicht kannte er einen Mann, der den Anforderungen entsprach und gleich greifbar war.
Trotz der Tragdie des heutigen Tages mute man vorausdenken.
Da war seine eigene Zukunft mit Christine. Die Aussicht erregte und beflgelte ihn. Sie hatten bisher nicht darber gesprochen. Christine war schon nach Hause gegangen. Er wrde sich bald zu ihr auf den Weg machen.
Einige weniger angenehme Angelegenheiten waren noch in der Schwebe. Vor einer Stunde hatte Captain Yolles von der Kriminalpolizei kurz bei Peter hereingeschaut. Er kam von einer Unterredung mit der Herzogin von Croydon.
»Wenn man ihr gegenbersitzt«, sagte Yolles, »fragt man sich, was sich hinter der soliden Eisschicht verbirgt. Ist sie eine Frau? Empfindet sie etwas bei dem Gedanken daran, wie ihr Mann gestorben ist? Ich habe seine Leiche gesehen. Mein Gott! - Das hat er nicht verdient; das wnsche ich nicht mal meinem schlimmsten Feind. brigens hat sie ihn auch gesehen. Nicht viele Frauen htten den Anblick ertragen knnen. Aber sie! -Sie hat nicht mit der Wimper gezuckt. Keine Wrme, keine Trnen. Hat blo den Kopf zurckgeworfen, wie sie's immer macht, und ihre bliche hoheitsvolle Miene aufgesetzt. Wenn ich die Wahrheit sagen soll - als Mann fhle ich mich zu ihr hingezogen. Irgendwie packt einen die Neugier, und man mchte wissen, wie sie nun eigentlich wirklich ist.« Der Kriminalbeamte verstummte nachdenklich.
Spter, auf eine Frage Peters, sagte Yolles: »Ja, wir werden sie wegen Beihilfe belangen. Nach dem Begrbnis wird sie verhaftet. Was danach mit ihr geschieht - ob die Geschworenen sie verurteilen, falls die Verteidigung behauptet, ihr Mann htte das Komplott geschmiedet, und er ist tot... Also, das wird sich zeigen.«
Ogilvie sei bereits unter Anklage gestellt, berichtete der Captain. »Auch wegen Beihilfe. Vielleicht kommt spter noch mehr dazu. Das entscheidet der Staatsanwalt. Sollten Sie seinen Posten fr ihn freihalten, dann rechnen Sie jedenfalls nicht damit, da Sie ihn vor fnf Jahren wiedersehen.«
»Bei uns ist er abgeschrieben.« Die Gruppe der Hoteldetektive stand auf Peters Reorganisationsplan ganz oben. Es war eine der vordringlichsten Aufgaben.
Als Captain Yolles gegangen war, wurde es im Bro still. Inzwischen war es Abend geworden. Nach einer Weile hrte Peter, wie sich die Tr zum Vorzimmer ffnete und schlo. Gleich danach klopfte es leise an seine Tr. Er rief: »Herein!«
Es war Aloysius Royce. Der junge Neger brachte ein Tablett mit einem Krug Martini und einem einzelnen Glas.
»Ich dachte mir, da Sie gegen eine kleine Strkung vielleicht nichts einzuwenden htten.«
»Danke«, sagte Peter, »aber ich trinke nie allein.«
»Mir schwante schon, da Sie das sagen wrden.« Royce zog aus einer Rocktasche ein zweites Glas.
Sie tranken schweigend. Nach allem, was sie heute erlebt hatten, war ihnen nicht nach Scherzen oder Trinksprchen zumute.
»Haben Sie Miss Lash abgeliefert?«
Royce nickte. »Ich habe sie direkt zum Krankenhaus gefahren. Wir muten zwar verschiedene Eingnge benutzen, trafen drinnen aber wieder zusammen, und ich brachte sie zu Mr. O'Keefe.«
»Danke.« Nach Curtis O'Keefes Anruf wollte Peter jemanden zum Flughafen schicken, auf den er sich verlassen konnte. Deshalb hatte er Royce darum gebeten.
»Sie waren gerade mit der Operation fertig, als wir ankamen. Wenn keine Komplikationen eintreten, wird die junge Dame -Miss Lash - bald wieder okay sein.«
»Das freut mich.«
»Mr. O'Keefe erzhlte mir, sie wrden heiraten. Sobald Miss Lash wieder einigermaen gesund ist. Ihre Mutter war von der Idee anscheinend sehr angetan.«
Peter lchelte flchtig. »Das wren wohl die meisten Mtter, nehme ich an.«
Ein Schweigen folgte, und dann sagte Royce: »Ich hrte von der Konferenz heute morgen. Von Ihrem entschlossenen Auftreten. Und wie die Sache schlielich ausging.«
»Ja«, Peter nickte, »im Hotel ist die Rassentrennung aufgehoben. Vllig. Von heute an.«
»Sie erwarten vermutlich, da ich Ihnen danke, weil Sie uns etwas gegeben haben, was uns rechtmig zusteht.«
»Nein«, sagte Peter. »Und Sie sticheln schon wieder. Aber ich frage mich, ob Sie sich nicht doch dazu entschlieen knnten, bei W. T. zu bleiben. Ich wei, da er sich darber freuen wrde, und Sie wren vllig unabhngig. Im Hotel fllt immer eine Menge Arbeit fr einen Anwalt an, und ich wrde dafr sorgen, da einiges davon auf Ihren Schreibtisch flattert.«
»Danke«, sagte Royce, »aber die Antwort ist nein. Ich habe heute nachmittag mit Mr. Trent gesprochen - gleich nach der Abschluprfung gehe ich fort.« Er schenkte neu ein und betrachtete sein Glas. »In gewisser Weise stehen wir beide auf entgegengesetzten Seiten. Wir werden das Ende des Kampfes auch nicht mehr erleben. Ich will meinen Leuten mit dem, was ich gelernt habe, helfen. Uns stehen noch eine Menge Auseinandersetzungen bevor - rechtliche und auch ein paar von der anderen Sorte. Es wird nicht immer fair zugehen, weder auf unserer Seite noch auf Ihrer. Aber wenn wir ungerecht, intolerant, unvernnftig sind, denken Sie dran - wir haben das von euch gelernt. Es wird fr uns alle richt einfach sein. Und Sie werden hierauch einiges zu spren kriegen. Sie haben die Rassentrennung aufgehoben, aber das ist nicht das Ende. Die Probleme kommen erst - mit den Leuten, denen das, was Sie getan haben, nicht pat; mit Farbigen, die sich nicht anstndig auffhren, die Ihnen auf die Nerven fallen, weil sie eben so sind, wie sie sind. Was werden Sie mit dem farbigen Gromaul, dem farbigen Neunmalgescheiten, dem angetrunkenen farbigen Romeo machen. Bei uns gibt's diese Typen auch. Solange es sich um Weie handelt, die sich danebenbenehmen, schlucken Sie krampfhaft, zwingen sich zu einem Lcheln und sehen meistens darber hinweg. Aber wenn es Farbige sind - was werden Sie dann machen?«
»Es wird vermutlich nicht leicht sein«, sagte Peter. »Ich werde versuchen, objektiv zu sein.«
»Sie ja. Andere aber nicht. So wird sich der Krieg jedenfalls abspielen. Er hat nur ein Gutes.«
»Ja?«
»Da es dann und wann zu einem Waffenstillstand kommt.« Royce nahm das Tablett mit dem Krug und den leeren Glsern und wandte sich zum Gehen. »Ich schtze, das war einer.«
Nun war es Nacht.
Im Hotel hatte wieder ein Arbeitstag seine regelmige Bahn durchlaufen und leigte sich dem Ende zu. Obwohl er sich von den meisten anderen Tagen unterschieden hatte, war die alltgliche Routine, von den unvorhergesehenen Ereignissen kaum berhrt, wie ein Uhrwerk abgeschnurrt. Reservierung, Empfang, Verwaltung, Installation, Garage, Kasse, Technik, Kche..., sie alle hatten gemeinsam eine einzige simple Funktion erfllt: den Reisenden freundlich aufzunehmen, zu verpflegen, mit einem Bett zu versorgen und weiterzuschicken.
Bald wrde der Zyklus von neuem beginnen.
Mde machte sich Peter McDermott zum Aufbruch bereit. Er knipste die Lampen im Bro aus und ging von der Verwaltungssuite aus durch die ganze erste Etage. Kurz vor der Treppe zur Halle sah er sich in einem Spiegel. Zum erstenmal bemerkte er, da sein Anzug zerknittert und fleckig war. Die Spuren stammten von dem Trmmerhaufen unten am Fahrstuhlschacht, wo Billyboi gestorben war.
Er strich das Jackett, so gut es ging, mit der Hand glatt. Ein leises Rascheln veranlate ihn, in die Tasche zu greifen, wo ihm ein gefaltetes Papier zwischen die Finger geriet. Als er es herauszog, erinnerte er sich wieder. Es war das Briefchen, das Christine ihm in die Hand gedrckt hatte, als er die Konferenz verlie - die Konferenz, bei der er um eines Prinzips willen seine Karriere aufs Spiel gesetzt und das Spiel gewonnen hatte.
Im Trubel der Ereignisse hatte er den Brief vllig vergessen. Er faltete ihn neugierig auseinander. Der Text lautete: »Es wird ein groartiges Hotel werden - genauso groartig wie der Mann, der es leitet.«
Lchelnd rannte er in langen Stzen die Treppe hinunter in die Halle seines Hotels.