Îòåëü / Hotel Õåéëè Àðòóð
Sie legte den Hrer auf. Ihre Hnde zitterten.
Der Herzog von Croydon sagte: »Irgend etwas schiefgegangen.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
Die Herzogin nickte betubt. »Die Vollmacht.« Ihre Stimme war kaum vernehmbar. »Die Vollmacht, die ich geschrieben habe, ist gefunden worden. Der Hotelmanager hat sie.«
Ihr Mann war vom Fenster in die Mitte des Raumes gekommen. Er stand reglos da, mit lose herabhngenden Armen, und lie die Information in sich einsickern. Schlielich fragte er:
»Und jetzt?«
»Er benachrichtigte die Polizei. Er sagt, er htte beschlossen, uns zuerst anzurufen.« Sie fate sich verzweifelt an die Stirn. »Die Vollmacht war der schlimmste Fehler. Wenn ich sie nicht ausgestellt htte... «
»Nein«, sagte der Herzog, »wenn nicht das, dann wre es irgend etwas anderes gewesen. Dich trifft keine Schuld. Den rgsten Fehler, mit dem alles anfing, habe ich begangen.«
Er ging zu der Anrichte, die als Bar diente, und go sich einen steifen Scotch mit Soda ein. »Ich nehme nur den einen, nicht mehr. Wird vermutlich eine Weile dauern, bevor ich den nchsten kriege.«
»Was hast du vor?«
»Es ist ein bichen spt, von Anstand zu reden.« Er schttete den Drink hinunter. »Aber falls noch ein paar kmmerliche Reste brig sind, will ich versuchen sie zu retten.« Er begab sich ins angrenzende Schlafzimmer und kam beinahe sofort mit einem leichten Regenmantel und einem Homburg zurck.
»Wenn's geht, mchte ich bei der Polizei sein, bevor sie zu mir kommt«, sagte der Herzog von Croydon. »Ich glaube, man nennt das: sich freiwillig stellen. Viel Zeit habe ich vermutlich nicht mehr, deshalb will ich das, was ich zu sagen habe, rasch abmachen.«
Die Herzogin sah ihn an. In diesem Moment zu sprechen berstieg ihre Kraft.
Mit beherrschter, leiser Stimme sagte der Herzog: »Du sollst wissen, da ich dir fr alles, was du getan hast, dankbar bin. Wir haben beide Fehler gemacht, aber ich bin dir trotzdem dankbar. Ich werde mein mglichstes tun, damit du nicht in die Sache hineingezogen wirst. Geschieht es doch, werde ich sagen, da die Idee, den Unfall zu vertuschen, von mir stammt und da ich dich berredet habe.«
Die Herzogin nickte matt.
»Noch eins. Ich nehme an, ich werde einen Anwalt brauchen. Du knntest dich darum kmmern, wenn du magst.«
Der Herzog setzte seinen Hut auf und stippte ihn mit einem Finger zurecht. Fr jemanden, dessen Leben und Zukunft vor wenigen Minuten vernichtet worden waren, war seine Ruhe bemerkenswert.
»Du wirst fr den Anwalt Geld brauchen. Eine ganze Menge vermutlich. Bezahl ihn von den fnfundzwanzigtausend Dollar, die du nach Chikago mitnehmen wolltest, und bring den Rest wieder zur Bank. Jetzt ist alle Geheimnistuerei berflssig.«
Nichts deutete darauf hin, da die Herzogin ihn gehrt hatte.
Ein Ausdruck des Mitleids flog ber das Gesicht ihres Mannes. »Es wird lange dauern...«, sagte er unsicher und streckte die Arme nach ihr aus.
Kalt und ohne Hast wandte die Herzogin sich ab.
Der Herzog wollte etwas sagen, berlegte es sich jedoch anders. Mit einem leichten Schulterzucken drehte er sich um, ging leise hinaus und schlo die Tr hinter sich.
Ein, zwei Minuten blieb die Herzogin unbeweglich sitzen und dachte an die Zukunft und die unmittelbar vor ihr liegende Blostellung und Schande. Dann siegte die Gewohnheit, und sie erhob sich. Zunchst wrde sie fr einen Anwalt sorgen; das war das wichtigste. Spter wrde sie ber die Mittel fr einen Selbstmord nachdenken.
Zunchst aber mute das Geld an einem sicheren Platz verstaut werden. Sie ging in ihr Schlafzimmer.
Nach einigen Minuten, in denen sie zuerst unglubig, dann verzweifelt smtliche Winkel und Ecken absuchte, wurde ihr klar, dadie Aktenmappe verschwunden war. Sie konnte nur gestohlen worden sein. Als sie die Mglichkeit erwog, die Polizei zu informieren, brach die Herzogin von Croydon in wildes, hysterisches Gelchter aus.
Wenn man schnell einen Fahrstuhl braucht, dachte der Herzog von Croydon, kann man damit rechnen, da er besonders langsam kommt.
Das Warten war unertrglich. Endlich hrte er den Fahrstuhl in dem Stockwerk ber sich. Gleich darauf hielt er in der neunten Etage, und die Tren glitten auseinander.
Den Bruchteil einer Sekunde lang zgerte der Herzog. Es schien ihm, als htte er seine Frau aufschreien gehrt. Er war stark versucht, umzukehren, entschied sich dann jedoch dagegen.
Er betrat den Fahrstuhl Nummer vier.
In der Kabine befanden sich bereits mehrere Leute, unter ihnen ein attraktives blondes Mdchen und der Chefportier, der den Herzog wiedererkannte.
»Guten Tag, Euer Gnaden.«
Der Herzog von Croydon nickte zerstreut. Die Tren glitten zu.
10
Es dauerte fast die ganze Nacht und bis in den Morgen hinein, bevor Keycase Milne sein Glck zu fassen vermochte und nicht mehr fr eine Halluzination hielt. Als er das Geld entdeckte, das er ahnungslos aus der Prsidentensuite mitgenommen hatte, glaubte er zuerst zu trumen. Er war in seinem Zimmer umhergelaufen, um wach zu werden. Aber das ntzte nichts, denn er war auch im Traum wach. All das machte ihn so konfus, da er erst bei Tagesanbruch einschlief und dann so tief und fest schlummerte, da er erst am spten Vormittag erwachte.
Typisch fr Keycase war jedoch, da die Nacht nicht vergeudet wurde.
Whrend er sich mit Zweifeln herumschlug, machte er Plne und traf Vorsichtsmaregeln fr den Fall, da er nicht getrumt und wirklich fnfzehntausend Dollar erbeutet hatte.
So viel Geld war ihm whrend seiner langjhrigen Bettigung als professioneller Dieb noch nie zwischen die Finger geraten. Besonders bemerkenswert erschien ihm dabei, da es nur zwei Probleme zu lsen galt, um das Geld unangefochten aus dem Hotel zu schleusen. Das erste war der Zeitpunkt seiner Abreise, das zweite der Transport des Geldes.
Beide Fragen wurden noch in der Nacht zufriedenstellend geklrt.
Beim Verlassen des Hotels durfte er mglichst kein Aufsehen erregen. Folglich mute er sich normal abmelden und seine Rechnung bezahlen. Alles andere wre pure Torheit gewesen, htte ihn als Betrger entlarvt und zu Nachforschungen gefhrt.
Keycase wre am liebsten auf der Stelle abgereist, widerstand aber der Versuchung. Eine Abreise mitten in der Nacht, die womglich eine Diskussion darber herausforderte, ob noch ein Tag mehr auf die Rechnung gesetzt werden sollte oder nicht, hatte zu viele Nachteile. Der Nachtkassierer wrde sich an ihn erinnern und ihn beschreiben knnen. Das galt auch fr andere Angestellte.
Nein! - Der Vormittag war die gnstigste Zeit. Wenn er sich einem Schub abreisender Gste anschlo, wrde er unbeachtet bleiben.
Natrlich war der Aufschub nicht ganz ungefhrlich. Der Herzog und die Herzogin von Croydon konnten den Verlust des Geldes entdecken und die Polizei alarmieren. Die Folge wre berwachung der Halle und Gepckkontrolle bei den abreisenden Gsten. Auf der Kreditseite stand jedoch, da nichts auf Keycase als den Tter hinwies und da man wohl kaum smtliche Gepckstcke durchsuchen wrde.
Ferner sagte Keycase ein Instinkt, da das Vorhandensein einer so hohen Geldsumme in kleinen Scheinen sowie ihr Aufbewahrungsort zum mindesten seltsam, wenn nicht sogar verdchtig war. Wrden die Croydons wirklich die Polizei alarmieren? Es war immerhin denkbar, da sie es nicht tun wrden.
Das zweite Problem war der Transport des Geldes.
Keycase erwog, es mit der Post zu versenden und an sich selbst zu adressieren, an ein Hotel in irgendeiner anderen Stadt, wo er es in ein oder zwei Tagen abholen konnte. Mit Bedauern sagte er sich, da die Summe zu hoch war. Er wrde zu viele Pckchen machen mssen und damit vielleicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Er wrde das Geld bei sich tragen mssen. Aber wie?
Natrlich nicht in der Aktenmappe, die er aus dem Schlafzimmer der Herzogin entwendet hatte. Bevor er etwas in Angriff nahm, mute er die Tasche verschwinden lassen. Keycase machte sich sogleich an die Arbeit.
Sorglich trennte er sie mit Hilfe von Rasierklingen auseinander und zerschnitt das Leder in kleine Schnipsel. Es war ein mhsames und langwieriges Unternehmen. Dann und wann splte er eine Portion Schnipsel in der Toilette hinunter, war jedoch seiner Zimmernachbarn wegen darauf bedacht, es nicht zu hufig zu tun.
Es dauerte ber zwei Stunden. Schlielich war von der Tasche nichts mehr vorhanden auer den Metallscharnieren und dem Schlo. Keycase steckte sie ein, verlie das Zimmer und schlenderte den Korridor entlang.
Nahe bei den Fahrsthlen standen mehrere Sandurnen. Er whlte ein Loch in den Sand und stopfte Scharniere und Schlo mglichst tief hinein. Vermutlich wrden sie irgendwann gefunden werden, aber erst, wenn er lngst ber alle Berge war.
Inzwischen war es ein bis zwei Stunden vor Tagesanbruch und totenstill im Hotel. Keycase kehrte in sein Zimmer zurck und verpackte seine Habseligkeiten bis auf die wenigen Dinge, die er noch brauchen wrde. Er benutzte die zwei Koffer, mit denen er am Dienstag gekommen war. In dem greren verstaute er die fnfzehntausend Dollar, nachdem er sie in mehrere schmutzige Oberhemden eingewickelt hatte.
Dann legte er sich schlafen.
Er hatte den Wecker auf zehn Uhr gestellt, aber entweder versagte der Wecker, oder er hrte ihn nicht. Als er erwachte, war es kurz vor halb zwlf, und die Sonne schien hell ins Zimmer.
Der Schlaf hatte eines zuwege gebracht. Keycase war endlich berzeugt davon, da die Geschehnisse der letzten Nacht keine Tuschung waren. Eine Niederlage war durch Zauberkraft in einen glnzenden Triumph verwandelt worden. Keycase frohlockte.
Er zog sich an und rasierte sich, packte zu Ende und schlo die Koffer. Bevor er in die Halle hinunterging, um die Rechnung zu bezahlen und die Lage zu peilen, beseitigte er die berzhligen Schlssel - fr die Zimmer 449, 641, 803, 1062 und die Prsidentensuite. Beim Rasieren hatte er unten an der Badezimmerwand eine Reparaturklappe fr den Klempner entdeckt. Er schraubte die Deckplatte ab und warf die Schlssel in den Schacht. Er hrte, wie sie weit unten aufplumpsten.
Seinen eigenen Zimmerschlssel behielt er, um ihn nachher ordnungsgem abzuliefern. »Byron Meaders« Abreise aus dem St.-Gregory-Hotel mute in jeder Beziehung normal verlaufen.
In der Halle herrschte miger Betrieb. Keycase bemerkte nichts Ungewhnliches. Er bezahlte seine Rechnungen und wurde von der Kassiererin mit einem freundlichen Lcheln bedacht. »Ist das Zimmer jetzt frei, Sir?«
Er erwiderte das Lcheln. »In ein paar Minuten. Ich mu blo noch meine Koffer holen.«
Befriedigt begab er sich wieder hinauf.
Oben in der 830 warf er einen letzten Blick in die Runde. Er hatte nichts zurckgelassen; keinen Fetzen Papier, keine Streichholzschachtel, nichts, was seine Identitt htte verraten knnen. Mit einem feuchten Handtuch wischte er alle Stellen ab, wo er seine Fingerabdrcke vermutete. Dann nahm er seine Koffer und ging hinaus.
Auf seiner Uhr war es zehn Minuten nach zwlf.
Er hielt den greren Koffer krampfhaft fest. Beim Gedanken, da er mit ihm durch die Halle laufen mute, klopfte sein Puls schneller, wurden seine Hnde feucht.
Der Fahrsruhl kam beinahe sofort. Keycase hrte, wie er in der neunten Etage hielt, weiterfuhr und erneut hielt. Die Tren ffneten sich direkt vor Keycase.
Ganz vorn in der Kabine stand der Herzog von Croydon.
Einen schreckerfllten Augenblick lang trieb es Keycase, kehrtzumachen und davonzulaufen. Er ri sich mhsam zusammen. Seine Vernunft sagte ihm, da die Begegnung ein Zufall war. Ein rascher Blick besttigte das. Der Herzog war allein. Er hatte Keycase berhaut noch nicht bemerkt. Seiner Miene nach zu schlieen, war er mit seinen Gedanken ganz woanders.
Der Fahrstuhlfhrer sagte: »Wir fahren runter!«
Neben dem Fahrstuhlfhrer stand der Chefportier, den Keycase von der Hotelhalle her kannte. Der Chefportier zeigte mit einem Nicken auf die beiden Koffer und erkundigte sich: »Soll ich die zwei nehmen, Sir?« Keycase schttelte den Kopf.
Als er die Kabine betrat, wichen der Herzog von Croydon und ein schnes blondes Mdchen einen Schritt zurck, um ihm Platz zu machen.
Die Tren von Nummer vier glitten zu. Der Fahrstuhlfhrer Cy Lewin drehte den Hebel auf »Ab«. In demselben Moment ertnte ein durchdringendes Knirschen, das protestierende Schrillen gemarterten Metalls, und der Fahrkorb strzte unaufhaltsam in den Schacht.
11
Peter McDermott entschied, da es seine Pflicht war, Warren Trent ber die Affre Croydon persnlich zu informieren.
Er fand den Hotelbesitzer in seinem Bro im Zwischengescho. Die anderen Konferenzteilnehmer waren gegangen. Aloysius Royce war da und half seinem Arbeitgeber, seine persnliche Habe zusammenzusuchen und zu verpacken.
»Ich dachte, ich knnte ebensogut gleich damit anfangen«, erklrte Warren Trent. »Ich brauche das Bro nicht mehr. Vermutlich wird es jetzt Ihres.« In der Stimme des lteren Mannes lag kein Groll mehr, trotz ihres Wortwechsels vor einer knappen halben Stunde.
Aloysius Royce arbeitete leise weiter, whrend die beiden anderen sich unterhielten.
Warren Trent lauschte Peters Bericht aufmerksam. Peter schilderte die Ereignisse ihrer zeitlichen Abfolge nach und schlo mit seinem Anruf bei der Herzogin von Croydon und der Polizei.
»Falls die Croydons das getan haben«, sagte Warren Trent, »habe ich kein Mitleid mit ihnen. Sie haben sich in der Angelegenheit gut verhalten, McDermott.« Nachtrglich fgte er knurrend hinzu: »Jetzt werden wir wenigstens die verdammten Kter los.«
»Ich frchte, Ogilvie ist tief darin verwickelt.«
Der ltere Mann nickte. »Diesmal ist er zu weit gegangen. Er mu die Suppe auslffeln, die er sich eingebrockt hat. Hier hat er nichts mehr zu suchen.« Warren Trent hielt inne und berlegte. Nach einer Weile sagte er: »Vermutlich haben Sie sich manchmal darber gewundert, warum ich Ogilvie gegenber immer so nachsichtig war.«
»Ja«, sagte Peter.
»Er war der Neffe meiner Frau. Ich bin stolz auf diese Tatsache, und ich kann Ihnen versichern, da meine Frau und Ogilvie nichts miteinander gemein hatten. Aber vor vielen Jahren bat sie mich, ihm hier einen Job zu geben, und das tat ich. Spter, als sie seinetwegen in Sorge war, versprach ich ihr, ihn nie zu entlassen. Und das habe ich eigentlich auch nie tun wollen.«
Wie konnte man erklren, fragte sich Warren Trent, da Ogilvie zwar nur ein unvollkommenes und schwaches Bindeglied zwischen ihm selbst und Hester gewesen war, aber das einzige, was er hatte.
»Tut mir leid«, sagte Peter. »Ich wute nicht...«
»Da ich verheiratet war?« Der ltere Mann lchelte. »Es gibt nur noch wenige Menschen, die das wissen. Meine Frau kam mit mir hierher. Wir waren damals beide noch jung. Kurz danach starb sie. Es scheint sehr lange her zu sein.«
Es erinnerte ihn an die Einsamkeit, die er all die Jahre ertragen hatte, und an die noch grere Einsamkeit, die vor ihm lag.
Peter sagte: »Kann ich irgend etwas... «
Die Tr zum ueren Bro flog auf. Christine stolperte herein. Sie war gerannt und hatte einen Schuh verloren. Sie war auer Atem und ihr Haar zerzaust. Keuchend brachte sie heraus: »Ein schrecklicher Unfall! Einer der Fahrsthle! Ich war in der Halle..., es ist entsetzlich! Mehrere Menschen sind eingequetscht..., sie schreien!«
Peter McDermott schob sie beiseite und raste hinaus. Aloysius Royce war dicht hinter ihm.
12
Drei Dinge htten Fahrstuhl Nummer vier vor dem Abstrzen retten sollen.
Ein Regulator, der bei berschreiten der zulssigen Geschwindigkeit automatisch bremste. Bei Fahrstuhl Nummer vier reagierte er zu langsam, aber dieser Defekt war bisher niemandem aufgefallen.
Eine Fangvorrichtung, bestehend aus vier Klammern, die sich, vom Regulator ausgelst, gegen die Fhrungsschienen pressen und den Fahrkorb stoppen sollte. Auf der einen Seite funktionierten die Klammern, auf der anderen versagten sie, weil der Regulator zu spt reagierte und der Mechanismus alt und verbraucht war.
Endlich htte noch die Nothaltevorrichtung das Unheil verhindern knnen. Das war ein einzelner roter Knopf, der, sobald man auf ihn drckte, den Strom abschaltete und den Fahrstuhl lahmlegte. In modernen Aufzgen war er hoch angebracht und deutlich zu sehen. Bei der Nummer vier war er in Kniehhe. Cy Lewin beugte sich seitwrts und fummelte ungeschickt herum. Er fand ihn eine Sekunde zu spt.
Da das eine Paar Klammern die Kabine festhielt, das andere nicht, hing sie schief und bog sich durch. Krachend rissen Metallteile auseinander; ihr Eigengewicht und die schwere Last in ihrem Inneren bewirkte, da die Kabine barst. Zwischen Tr und Wand, am unteren Ende des stark geneigten Fubodens, entstand ein breiter, langer Spalt. Kreischend, sich wild aneinanderklammernd, glitten die Fahrgste auf ihn zu.
Cy Lewin, der ihm am nchsten war, fiel als erster. Sein Schrei bei seinem Sturz neun Stockwerke tief verstummte erst, als er auf der betonierten Schachtsohle aufschlug. Ein Ehepaar aus Salt Lake City fiel als nchstes. Sie hielten einander umfat und starben, wie Cy Lewin, als sie unten aufprallten. Der Herzog von Croydon fiel unbeholfen und prallte auf eine Eisenstange an der Wandung des Schachts. Sie durchbohrte ihn, brach ab, und er fiel weiter. Er war tot, bevor sein Krper unten ankam.
Irgendwie gelang es den anderen, sich festzuhalten. Dann gaben die beiden Klammern nach, und der halbzertrmmerte Fahrkorb sauste in die Tiefe. Auf halbem Wege rutschte ein junger Delegierter des Zahnrztekongresses wild um sich schlagend durch den Spalt. Er berlebte den Unfall, starb jedoch drei Tage danach an inneren Verletzungen.
Herbie Chandler hatte mehr Glck. Er fiel, als die Kabine die Schachtsohle beinahe erreicht hatte. Dabei wurde er in den Nachbarschacht geschleudert und zog sich Kopfverletzungen zu, von denen er sich wieder erholte. Jedoch machte ihn eine schwere Beschdigung der Wirbelsule zum lebenslnglichen Krppel.
Eine Frau mittleren Alters lag mit gebrochenem Unterschenkel und zerschmettertem Unterkiefer auf dem Boden des Fahrstuhls.
Als die Kabine unten aufschlug, wurde Dodo hinausgeschleudert. Sie brach sich einen Arm und prallte mit dem Kopf gegen eine Fhrungsschiene. Bewutlos, dem Tode nahe, lag sie da, und aus einer schweren Kopfwunde strmte Blut.
Drei andere - ein Gold-Crown-Cola-Delegierter und seine Frau und Keycase Milne - blieben wie durch ein Wunder unversehrt.
Unter dem zersplitterten Fahrkorb lag Billyboi Noble, der Wartungsmann, der vor zehn Minuten in den Schacht gekrochen war, mit zerschmetterten Beinen und Becken, blutend und schreiend.
13
In einem Tempo, das er im Hotel noch nie eingeschlagen hatte, raste Peter McDermott die Treppe hinunter.
In der Halle empfing ihn ein Hllenlrm. Schreie drangen durch die Fahrstuhltren, und mehrere Frauen jammerten laut. Verwirrte Zurufe waren zu hren. Von einer hin und her wogenden Menschenmenge umlagert, versuchten ein kreidebleicher Direktionsassistent und ein Boy die Tren des Fahrstuhls Nummer vier aufzubrechen. Kassierer, Receptionisten und Broangestellte strmten hinter Schaltern und Schreibtischen hervor. Gste aus den Restaurants und der Bar ergossen sich in die Halle, gefolgt von den Kellnern und Barmixern. Im Hauptspeisesaal war die Lunchmusik verstummt, da sich die Kapelle dem Massenauszug angeschlossen hatte. Eine Reihe von Kchenhelfern kam durch den Personaleingang. Als Peter unten anlangte, wurde er mit Fragen berschttet.
So laut er konnte, brllte er: »Ruhe!«
p>Fr einen Moment wurde es still, und er rief wieder: »Treten Sie bitte zurck, und wir werden unser mglichstes tun.« Er fing den Blick eines Receptionisten ein. »Hat jemand die Feuerwehr benachrichtigt?«»Ich bin nicht sicher, Sir. Ich dachte...«
»Dann tun Sie's jetzt!« brllte Peter. Einem anderen Empfangsangestellten befahl er: »Rufen Sie die Polizei an. Sagen Sie ihr, wir brauchen Ambulanzen, rzte und jemanden, der die Menge in Schach hlt.«
Beide Mnner verschwanden im Laufschritt.
Ein hochgewachsener hagerer Mann in Tweedjacke und Drillichhosen trat vor. »Ich bin Marineoffizier. Sagen Sie mir, was ich tun kann.«
»Die Mitte der Halle mu frei bleiben. Bilden Sie aus den Hotelangestellten einen Kordon. Lassen Sie nach dem Haupteingang hin eine Passage frei. Klappen Sie die Drehtr zusammen.«
»Okay!«
Der groe Mann machte kehrt und gab eine Reihe knatternder Kommandos. Die anderen gehorchten bereitwillig, als seien sie dankbar, da jemand die Fhrung bernommen hatte. Bald erstreckte sich eine von Kellnern, Kchen, Buchhaltern, Boys, Musikern und einigen requirierten Gsten gebildete Kette quer durch die Halle bis zum Portal an der St. Charles Avenue.
Aloysius Royce hatte sich zu den zwei Mnnern gesellt, die an der Fahrstuhltr herumhantierten. Er wandte sich um und rief Peter zu: »Ohne Werkzeug schaffen wir das nicht. Wir mssen woanders durchbrechen.«
Ein Wartungsarbeiter in Overalls kam in die Halle gerannt. »Wir brauchen Hilfe an der Schachtsohle. Ein Mann ist unter dem Fahrkorb eingeklemmt. Wir knnen ihn nicht rausholen und kommen an die anderen nicht ran.«
»Kommt, schnell!« Peter sauste auf die Personaltreppe zu, dicht gefolgt von Aloysius Royce.
Ein schwachbeleuchteter grauer Backsteintunnel fhrte zum Fahrstuhlschacht. Hier waren die Schreie, die sie oben gehrt hatten, viel lauter und unheimlicher. Die zertrmmerte Kabine befand sich direkt vor ihnen, aber der Zugang zu ihr war versperrt von verbogenen Metallteilen des Fahrstuhls und der Installation, die durch die Wucht des Aufpralls stark beschdigt worden war. Wartungsarbeiter mhten sich mit Brecheisen ab. Andere standen hilflos daneben. Zurufe, das Rattern von Maschinen vermischten sich mit dem unaufhrlichen chzen und Sthnen aus dem Inneren der Kabine.
Peter brllte den unbeschftigten Mnnern zu: »Schafft mehr Licht her!« Mehrere hasteten durch den Tunnel davon. Zu dem Mann in Overalls sagte er: »Gehen Sie zurck in die Halle.
Zeigen Sie den Feuerwehrleuten den Weg.«
»Und schicken Sie einen Arzt runter!« rief Aloysius Royce, der vor den Trmmern kniete.
»Ja«, sagte Peter, »lassen Sie oben ausrufen, da wir einen Arzt brauchen, und schicken Sie ihn mit jemanden herunter. Es sind mehrere rzte im Hotel.«
Der Mann nickte und rannte los.
Immer mehr Leute fanden sich im Tunnel ein und begannen ihn zu blockieren. Der Chefingenieur Doc Vickery zwngte sich durch die Menge.
»Mein Gott!« Er starrte auf die Unglckssttte. »Mein Gott! Ich hab' sie gewarnt! Ich hab' immer wieder gesagt, wenn wir kein Geld reinstecken, wrde was passieren...« Er packte Peter am Arm. »Sie haben's gehrt, Jungchen. Sie haben mich oft genug sagen hren... «
»Spter, Doc.« Peter machte seinen Arm los. »Wie knnen wir die Leute rausholen?«
Doc Vickery schttelte hilflos den Kopf. »Dazu mten wir schweres Werkzeug haben..., Winden, Absttzgerte, Schweibrenner... «
Es war offenkundig, da der Chefingenieur der Situation nicht gewachsen war. »berprfen Sie die anderen Fahrsthle«, sagte Peter. »Stoppen Sie sie, wenn's sein mu. Wir drfen keine Wiederholung riskieren.« Der alte Mann nickte benommen und trabte gebeugt und gebrochen davon.
Peter packte einen grauhaarigen Techniker, den er erkannte, bei der Schulter.
»Kmmern Sie sich darum, da der Tunnel gerumt wird. Schicken Sie alle weg, die nicht unmittelbar mit den Rettungsarbeiten zu tun haben.«
Der Techniker nickte. Er rief Befehle und drngte die Schaulustigen langsam zurck.
Aloysius Royce hatte sich auf allen vieren unter die Trmmer geschoben und hielt den verletzten, sthnenden Wartungsmann an den Schultern. Trotz der schlechten Beleuchtung war deutlich zu sehen, da seine Beine und sein Unterleib unter Holz- und Eisenteilen begraben waren.
»Billyboi«, sagte Royce trstend, »wir holen Sie raus, das verspreche ich Ihnen. Es dauert nicht mehr lange.«
Die Antwort war ein qualvoller Aufschrei.
Peter nahm die Hand des Verletzten. »Royce hat recht. Wir sind alle da. Die Hilfe kommt gerade.«
Von der Strae her war das immer strker anschwellende Heulen von Sirenen zu hren.
14
Der telefonische Hilferuf des Empfangs erreichte die Brandwache im Rathaus. Bevor er seine Nachricht ganz durchgegeben hatte, ertnte in smtlichen stdtischen Feuerwachen ein schrilles Alarmsignal. Gleich darauf erklang ber Sprechfunk die gelassene Stimme des Einsatzleiters.
»Ruf Null Null Null Acht - Alarm im St.-Gregory-Hotel -Carondelet und Common Street.«
Vier Feuerwachen reagierten automatisch auf den Alarm - die in der Decatur, Tulane, South Rampart und Dumaine Street. Bei dreien waren smtliche Mnner bis auf den Diensthabenden beim Lunch, bei der vierten war der Lunch fast vorbei. Es gab Fleischklopse und Spaghetti. Ein Feuerwehrmann, der Kchendienst hatte, seufzte, als er das Gas abdrehte und hinter den anderen her rannte. Konnten die sich fr ihren gottverdammten Alarm nicht eine andere Zeit aussuchen!
Uniformen und Stiefel waren auf den Wagen. Die Mnner schleuderten ihre Schuhe weg und kletterten auf ihre Pltze, whrend die Fahrzeuge anrollten. Innerhalb von dreiig Sekunden nach dem Alarm waren fnf Lschzge, zwei Hakenleitern, eine Motorspritze, Bergungs- und Rettungstrupps, ein Brandmeister und zwei Distriktchefs auf dem Weg zum St. Gregory. Die Fahrer kmpften sich durch den starken Mittagsverkehr.
Ein Hotelalarm hatte die hchste Dringlichkeitsstufe.
In anderen Feuerwachen standen weitere sechzehn Lschzge und zwei Hakenleitern auf Abruf bereit.
Dem Polizeirettungsdienst ging die Meldung von zwei Seiten zu: von der Brandwache und direkt vom Hotel.
Unter einem Schild mit der Aufschrift »Seid nett zueinander« notierten zwei Telefonistinnen die Meldung und gaben sie weiter. Unmittelbar danach erging ber Sprechfunk die Anweisung: »Smtliche Ambulanzen - Polizei und Charity-Hospital - zum St.-Gregory-Hotel.«
15
Drei Stockwerke unter der Halle des St. Gregory, im Tunnel zum Fahrstuhlschacht, hatte sich nichts gendert. Noch immer der gleiche Lrm, Schreie, hastige Kommandorufe, Wimmern und Sthnen. Nun erklangen energische schnelle Futritte. Ein Mann in einem leichten Leinenanzug tauchte auf. Ein junger Mann. Mit einer Instrumententasche.
»Doktor!« rief Peter eindringlich, »hierher!«
Der Neuankmmling kroch auf Hnden und Knien unter die Trmmer und kauerte sich neben Peter und Aloysius Royce. Hinter ihnen strahlten in aller Eile montierte Glhbirnen auf. Billyboi Noble schrie wieder und wandte sein schmerzverzerrtes Gesicht dem Arzt zu. Er sah ihn flehend an. »O Gott! O Gott! Bitte, geben Sie mir etwas...«
Der Arzt nickte, in seiner Tasche kramend. Er zog eine Injektionsspritze hervor. Peter schob den rmel von Billybois Overall hoch und hielt den Arm fest. Der Arzt tupfte rasch die Haut ab und stie die Nadel hinein. Innerhalb weniger Sekunden tat das Morphium seine Wirkung. Billybois Kopf fiel zurck. Seine Augen schlossen sich.
Mit einem Stethoskop horchte der Arzt Billybois Brust ab. »Ich habe nicht viel bei mir. Man hat mich auf der Strae abgefangen. Wie schnell knnen Sie ihn hier herausholen?«
»Sobald Hilfe eintrifft. Eben kommt sie.«
Wieder waren Schritte zu hren. Diesmal das schwere Stampfen vieler rennender Fe. Behelmte Feuerwehrleute strmten herein. Mit ihnen grelle Scheinwerfer und ein Arsenal von Wrkzeug: xte, Absttzspindeln, Schneidbrenner, Brechstangen, Hebebcke. Kurze abgehackte Worte. Grunzlaute, scharfe Befehle. »Hierher! Sttzt das Ding ab. Das schwere Zeug mu weg! Dalli!«
Von oben drang das Krachen von xten herunter. Das Knirschen auseinanderbrechender Eisenteile. Ein heller Lichtschein, als sich in der Halle die Tr zum Schacht ffnete. Ein Schrei: »Leitern! Wir brauchen Leitern!« Lange Leitern wurden in den Schacht hinuntergelassen.
Die gebieterische Stimme des jungen Arztes: »Ich mu den Mann hier heraushaben!«
Zwei Feuerwehrleute mhten sich mit einer Absttzspindel ab. Zu voller Hhe geschraubt, wrde sie Billyboi von dem auf ihm lastenden Gewicht befreien. Die beiden Mnner suchten fluchend in dem Berg von Trmmern nach einer gengend groen ffnung. Die Spindel war um mehrere Zentimeter zu lang. »Wir brauchen eine kleinere! Bringt uns eine kleinere Spindel, damit wir Spielraum fr die groe kriegen.« Die Forderung wurde ber ein tragbares Funksprechgert wiederholt. »Bringt die kleine Absttzspindel aus dem Gertewagen runter!«
Und wieder die drngende Stimme des Arztes: »Ich mu den Mann hier heraushaben!«
»Der Balken da!« Dis war Peter. »Nein, der darber. Wenn wir ihn bewegen, hebt er den anderen mit an, und wir kriegen Platz fr die Spindel.«
Ein Feuerwehrmann sagte warnend: »Zwanzig Tonnen hngen da oben. Verschieben Sie was, und das ganze Zeug kracht runter. Wir gehen es lieber sachte an.«
»Probieren wir's wenigstens«, sagte Aloysius Royce.
Royce und Peter schoben sich Schulter an Schulter, Arm in Arm mit dem Rcken unter den oberen Balken. Stemmen! Der Balken rhrte sich nicht. Noch einmal! Fester! Lungen schienen zu bersten, Blut wallte, in den Ohren rauschte es. Beit die Zhne zusammen! Versucht das Unmgliche! Im Kopf drehte sich alles, vor den Augen war ein roter Nebel. Der Balken bewegte sich. Stemmen! Er gab nach. Ein Schrei: »Die Spindel ist drin!« Das Gewicht auf dem Rcken verringerte sich, war nicht mehr zu spren. Die Spindel schraubte sich hoch, hob die Trmmer an, sttzte sie ab. »Jetzt knnen wir ihn rausholen!«
Die ruhige Stimme des Arztes: »Lassen Sie sich Zeit. Er ist eben gestorben.«
Die Toten und Verletzten wurden einer nach dem anderen die Leiter hinaufgetragen. Die Halle verwandelte sich in eine Sanittsstation, wo man den Lebenden Erste Hilfe leistete und bei den anderen, die jenseits aller Hilfe waren, den Tod feststellte. Mbel wurden beiseite geschoben, Bahren hereingebracht. Hinter dem Kordon drngte sich eine schweigende Menschenmenge. Frauen weinten. Einige Mnner hatten sich abgewandt.
Drauen wartete eine Reihe von Ambulanzen. Die Polizei hatte die St. Charles Avenue und das Stck der Carondelet Street zwischen Canal und Gravier Street fr den Verkehr gesperrt. Hinter beiden Absperrungen strmten Neugierige zusammen. Eine nach der anderen rasten die Ambulanzen davon. Die erste mit Herbie Chandler; die zweite mit dem sterbenden Zahnarzt; die dritte mit der Frau aus New Orleans, deren Bein und Unterkiefer gebrochen war. Andere Ambulanzen fuhren langsamer zum stdtischen Leichenschauhaus. Im Hotel befragte ein Polizeicaptain die Zeugen, erkundigte sich nach den Namen der Opfer.
Dodo wurde als letzte in die Halle getragen. Ein Arzt war in den Schacht hinuntergeklettert und hatte ber der klaffenden Kopfwunde einen Druckverband angelegt. Ihr Arm war in einer Plastikschiene. Keycase, der alle Hilfsangebote fr sich selbst zurckgewiesen hatte, war bei Dodo geblieben, hatte sie gehalten und die Retter durch Zurufe dahin dirigiert, wo sie lag. Keycase kam als letzter hinter dem Gold-Crown-Cola-Delegierten und dessen Frau. Ein Feuerwehrmann klaubte Dodos und Keycases Gepck aus den Trmmern und hievte es die Leitern hinauf. Oben wurde es von einem Polizisten in Empfang genommen und bewacht.
Peter McDermott kehrte gerade in die Halle zurck, als Dodo hereingetragen wurde. Sie war bleich und still, blutberstrmt, die Kompresse ber ihrer Kopfwunde bereits wieder rot. Als man sie auf eine Bahre legte, beugten sich zwei rzte kurz ber sie. Der eine war ein junger Assistenzarzt, der andere ein lterer Mann. Der jngere schttelte zweifelnd den Kopf.
Hinter dem Kordon gab es einen kleinen Tumult. Ein Mann in Hemdsrmeln rief erregt: »Lassen Sie mich durch!«
Peter wandte den Kopf und gab dann dem Marineoffizier ein Zeichen. Der Kordon ffnete sich. Curtis O'Keefe drngte sich hindurch und zu Dodo hinber.
Mit bestrzter, schmerzbewegter Miene ging er neben der Bahre her. Als Peter ihn zum letztenmal sah, stand er drauen auf der Strae und bettelte darum, in der Ambulanz mitfahren zu drfen. Der Assistenzarzt nickte. Tren knallten zu. Mit gellender Sirene raste die Ambulanz davon.
16
Keycase vermochte es noch immer nicht zu fassen, da er mit dem Leben davongekommen war. Benommen, zittrig kletterte er die Leiter hinauf. Ein Feuerwehrmann war dicht hinter ihm und sttzte ihn. Hnde streckten sich ihm von oben entgegen und zogen ihn hoch.
Er stellte fest, da er sich aus eigener Kraft fortbewegen konnte. Der Schock lie nach, er war wieder bei klarem Verstand. Alle seine Sinne waren aufs uerste angespannt. Die vielen Uniformen um ihn herum jagten ihm Angst ein.
Seine zwei Koffer! Falls der grere aufgeplatzt war... Aber nein, da stand er zusammen mit mehreren anderen Gepckstcken. Keycase schob sich nher an ihn heran.
Eine Stimme hinter ihm sagte: »Sir, drauen wartet eine Ambulanz.« Keycase drehte sich um und erblickte einen jungen Polizisten.
»Ich brauche aber keine...«
»Es ist so angeordnet, Sir. Jeder wird untersucht. Es geschieht zu Ihrem eigenen Besten.«
»Aber ich mchte meine Koffer haben«, protestierte Keycase.
»Sie knnen sie spter abholen, Sir. Sie werden hier bewacht.«
»Nein, jetzt gleich.«
Eine andere Stimme schaltete sich ein. »Jesus! Wenn er seine Koffer mitnehmen will, dann la ihn doch. Nach allem, was er hinter sich hat, ist es sein gutes Recht... «
Der junge Polizeibeamte ergriff die beiden Koffer und eskortierte Keycase zum Haupteingang an der St. Charles Avenue. »Warten Sie hier bitte, Sir. Ich sehe eben mal nach, welche Ambulanz es ist.«
Sobald er verschwunden war, nahm Keycase sein Gepck und verdrckte sich seitwrts zwischen die Zuschauer. Niemand beachtete ihn, als er davonging.
Er begab sich zu dem Parkplatz, wo er seinen Wagen gestern, nach dem erfolgreichen Beutezug in dem Haus in Lakeview, stehengelassen hatte. In seinem Innern herrschte Frieden und Zuversicht. Nun konnte ihm nichts mehr passieren.
Der Parkplatz war voll, aber Keycase erkannte seinen Ford von weitem an dem charakteristischen grnweien Nummernschild von Michigan. Dabei fiel ihm ein, welches Unbehagen ihm noch am Montag die auffllige Farbenzusammenstellung bereitet hatte. Seine Befrchtungen waren offenbar unntig gewesen.
Der Wagen war intakt, und wie immer sprang der Motor sofort an.
Aus dem Stadtzentrum fuhr Keycase vorsichtig zu dem Motel am Chef Menteur Highway, wo er die Beute der letzten Tage versteckt hatte. Ihr Wert war gering im Vergleich zu den glorreichen fnfzehntausend Dollar, aber dennoch nicht zu verachten.
Im Motel parkte er den Ford direkt vor seiner Kabine und schaffte die beiden Koffer hinein. Er zog die Vorhnge an den Fenstern vor, bevor er den greren Koffer aufmachte, um sich zu vergewissern, ob das Geld noch da war. Es war noch da.
Er hatte einen groen Teil seiner persnlichen Habe in der Kabine zurckgelassen und packte nun smtliche Koffer aus und wieder ein, um fr alles, was er darin unterbringen mute, Platz zu schaffen. Zum Schlu blieben ihm die zwei Pelzmntel, die Silberschale und das Tablett aus dem Haus in Lakeview brig. Fr sie war kein Raum mehr, auer, er fing die Packerei noch einmal von vorn an.
Keycase wute, da er es eigentlich tun mte. Aber seit einigen Minuten versprte er eine berwltigende Mdigkeit -vermutlich die Nachwirkung deraufregenden Ereignisse und des Schocks. Auerdem wurde auch die Zeit knapp, denn es war wichtig, da er sich so schnell wie mglich von New Orleans absetzte. Er entschied, da die Mntel und das Silberzeug im Kofferraum des Fords sicher aufgehoben sein wrden.
Nachdem er sich berzeugt hatte, da die Luft rein war, lud er sein Gepck in den Wagen, beglich im Motelbro seine Rechnung und fuhr los. Sobald er hinter dem Steuer sa, fhlte er sich wesentlich frischer.
Sein Fahrtziel war Detroit. Er beschlo, die Strecke in kurzen Etappen zurckzulegen und anzuhalten, wo und wann er wollte. Und er wrde auf der Fahrt ernsthaft ber seine Zukunft nachdenken. Seit einer Reihe von Jahren hatte Keycase sich vorgenommen, da er sich, sollte ihm jemals ein ordentlicher Batzen Geld in die Hnde fallen, davon eine kleine Garage kaufen wrde. Dort wrde er sich zur Ruhe setzen, nach einem Leben voller Unrast und Verbrechen, und die letzten Jahre vor seinem Hinscheiden mit ehrlicher Arbeit zubringen. Die Fhigkeiten dazu hatte er. Sein Ford war ein Beweis dafr. Und fnfzehntausend Dollar gengten fr den Anfang. Blieb nur die Frage: War es wirklich der richtige Zeitpunkt zum Aussteigen?
Keycase erwog bereits das Fr und Wider seines Plans, als er durch die nrdlichen Vororte von New Orleans fuhr, in Richtung Pontchartrain Expressway, wo die Freiheit fr ihn begann.
Es gab logische Argumente zugunsten seines Projekts, sich zur Ruhe zu setzen. Er war nicht mehr jung. De Risiken und Anspannungen seines Berufs rieben ihn auf. In New Orleans hatte er zum erstenmal die lhmende Wirkung der Angst versprt.
Und doch hatten die Ereignisse der letzten sechsunddreiig Stunden seine Lebensgeister beflgelt, ihm neuen Elan gegeben. Der erfolgreiche Einbruch in Lakeview, der unerwartete, ans Wunderbare grenzende Geldsegen, seine Rettung bei dem Fahrstuhlunglck - all dies schienen ihm Symptome fr seine Unbesiegbarkeit zu sein. Und waren sie in ihrer Gesamtheit nicht ein Omen, das ihm den Weg wies, den er gehen sollte?
Vielleicht war es doch besser, wenn er noch fr eine Weile seine alte Ttigkeit beibehielt. Die Garage lief ihm nicht weg. Er hatte noch viel Zeit.
Vom Chef Menteur Highway aus war er auf den Gentilly Boulevard gefahren, am Stadtpark vorbei mit seinen Lagunen und mchtigen alten Eichen. Nun befand er sich auf der City Park Avenue und nherte sich der Metarie Road. Hier erstreckten sich die neueren Friedhfe von New Orleans -Greenwood, Metarie, St. Patrick, Fireman's, Charity Hospital, Cypress Grove - mit einem Meer von Grabsteinen, so weit das Auge reichte. Hoch ber ihnen spannte sich der Pontchartrain Expressway. Keycase konnte den Expressway jetzt sehen - eine Zitadelle im Himmel, ein lockender Hafen. In wenigen Minuten wrde er ihn erreicht haben.
Als er auf der Kreuzung Canal Street und City Park Avenue zufuhr, der letzten Station vor der Auffahrt zum Expressway, bemerkte er, da die Verkehrsampel ausgefallen war. Ein Polizist dirigierte den Verkehr von der Mitte der Canal Street aus.
Ein paar Meter vor der Kreuzung hatte Keycase eine Reifenpanne.
Der Schutzmann Nicholas Clancy von der New-Orleans-Polizei war einst von seinem erbitterten Sergeant als »der dmmste Schupo in der ganzen Polizei« bezeichnet worden.
Die Klage war berechtigt. Obwohl Clancy im Dienst alt und grau geworden war, hatte man ihn nie befrdert oder eine Befrderung auch nur in Erwgung gezogen. Er hatte sich nicht mit Ruhm bedeckt, kaum je eine Verhaftung vorgenommen, und wenn, dann keine bedeutende. Falls Clancy einem flchtenden Wagen nachjagte, entkam der Fahrer bestimmt. Einmal, bei einem Handgemenge, sollte Clancy einem Verdchtigen, den ein anderer Beamter berwltigt hatte, die Handschellen anlegen. Clancy kmpfte noch mit seinen Handschellen, die sich an seinem Grtel verheddert hatten, als der Verdchtige schon mehrere Huserblocks weit weg war. Bei einer anderen Gelegenheit stellte sich ein lang gesuchter Bankruber, der sich bekehrt hatte, Clancy freiwillig auf der Strae. Der Bandit lieferte seine Waffe aus. Clancy lie sie fallen, ein Schu lste sich, der aufgescheuchte Bandit nderte seine Meinung und machte sich aus dem Staub. Er konnte erst nach einem Jahr und sechs Bankberfllen wieder gefat werden.
Nur eines rettete Clancy in all den Jahren vor der Entlassung aus dem Polizeidienst - seine Gutmtigkeit, der niemand widerstehen konnte, sowie die demtige Haltung eines traurigen Clowns, der sich seiner Unzulnglichkeit bewut ist.
Manchmal, wenn er mit sich allein war, wnschte sich Clancy, da ihm etwas gelingen mchte, eine einzige lohnende Tat, damit er wenigstens einen Pluspunkt vorzuweisen htte. Bisher jedoch hatte er immer versagt.
Es gab nur eine Aufgabe, die Clancy nie die mindeste Schwierigkeit bereitete - den Verkehr zu regeln. Es machte ihm sogar Spa. Falls er irgendwie die Geschichte zurckdrehen und die Erfindung der automatischen Verkehrsregelung htte verhindern knnen, wrde er es mit Freuden getan haben.