Îòåëü / Hotel Õåéëè Àðòóð
Royce war im Begriff, das Frhstck zu servieren, das vor einigen Minuten auf einem Servierwagen gebracht worden war. Warren Trent bedeutete ihm, damit noch zu warten.
Die Stimme einer Telefonistin teilte ihm mit, da es sich um ein Ferngesprch handelte. Als er seinen Namen genannt hatte, bat ihn eine zweite Telefonistin, sich einen Moment lang zu gedulden. Endlich meldete sich der Prsident der Journeymen's Union.
»Trent?«
»Ja. Guten Morgen!«
»Ich hab' Sie gestern davor gewarnt, mir was vorzumachen. Trotzdem waren Sie bld genug, es zu versuchen. Dazu kann ich Ihnen nur eins sagen: Leute, die mich fr dumm verkaufen wollen, wnschen danach immer, sie wren nicht geboren worden. Sie haben diesmal Glck, weil der Schwindel platzte, bevor das Geschft abgeschlossen war. Aber ich warne Sie: verschonen Sie mich knftig mit Ihren gottverdammten Tricks!«
Die unerwartete Attacke, die barsche, schneidende Stimme raubten Warren Trent vorbergehend die Sprache. Sobald er sich gefat hatte, protestierte er: »Um Himmels willen, ich habe nicht die mindeste Ahnung, wovon Sie berhaupt reden!«
»Keine Ahnung, da es in Ihrem gottverdammten Hotel einen Rassenkrawall gegeben hat? Und da die Geschichte in smtlichen New Yorker Zeitungen breitgetreten wird?«
Es dauerte mehrere Sekunden, bevor Warren Trent die verrgerte Tirade mit Peter McDermotts gestrigem Bericht in Verbindung brachte.
»Gestern morgen kam es zu einem unbedeutenden Zwischenfall. Von einem Rassenkrawall oder dergleichen kann berhaupt keine Rede sein. Zu dem Zeitpunkt, an dem wir miteinander sprachen, war ich noch nicht darber im Bilde. Aber auch wenn ich es gewesen wre, htte ich die Sache fr zu unwichtig gehalten, um sie zu erwhnen. Was die New Yorker Bltter anbelangt, so habe ich sie nicht gesehen.«
»Meine Mitglieder werden sie sehen. Und falls sie die hiesigen Zeitungen nicht zu Gesicht kriegen, dann lesen sie's in anderen, die die Geschichte heute abend bringen. Sie und jeder miese bestechliche Kongremann, der die farbigen Stimmen brauht, werden Zeter und Mordio schreien, wenn ich Geld in ein Hotel stecke, das Nigger wegschickt.«
»Dann geht es Ihnen also nicht um das Prinzip. Es ist Ihnen gleich, was wir tun, solange es nicht auffllt.«
»Um was es mir geht, ist meine Privatangelegenheit. Und es ist auch meine Sache, wo ich Gewerkschaftsgelder investiere.«
»Unsere Transaktion knnte geheimgehalten werden.«
»Falls Sie das glauben, sind Sie ein noch grerer Narr, als ich dachte.«
Es stimmt, sagte sich Warren Trent verdrossen, frher oder spter wrde die Nachricht von dem Bndnis unweigerlich durchsickern. Er versuchte es auf eine andere Tour. »Der Zwischenfall gestern war nichts Auergewhnliches.
Dergleichen ist in Hotels der Sdstaaten schon fter passiert; und es wird immer wieder passieren. Ein oder zwei Tage danach richtet sich die Aufmerksamkeit der ffentlichkeit auf etwas anderes.«
»Mag sein. Wrde jedoch Ihr Hotel - ab morgen - von den Journeymen finanziert, dann wrde die ffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit verdammt schnell zurckschalten. Und auf die Art Reklame kann ich verzichten.«
»Ich mchte in der Sache gern klarsehen. Wollen Sie damit sagen, da unsere gestrige Vereinbarung trotz der Inspektion Ihrer Buchprfer nicht mehr gltig ist?«
Die Stimme aus Washington erwiderte: »Mit Ihren Bchern hat das Ganze nichts zu tun. Der Bericht meiner Leute war positiv. Ich blase das Geschft wegen der anderen Sache ab.«
So wurde ihm durch einen Zwischenfall, den er gestern als eine Lappalie abgetan hatte, der Nektar des Sieges vom Mund weggerissen, dachte Warren Trent erbittert. Im Bewutsein, da alles, was er nun noch uern mochte, an der Tatsache selbst nichts mehr ndern wrde, bemerkte er beiend: »Frher waren Sie bei der Verwendung von Gewerkschaftsgeldem nicht immer so heikel.«
Am anderen Ende war es still. Dann sagte der Prsident der Journeymen leise: »Das wird Ihnen noch mal leid tun.«
Langsam legte Warren Trent den Hrer auf. Auf einem Tisch in der Nhe hatte Aloysius Royce die per Luftpost zugeschickten New Yorker Zeitungen ausgebreitet. Er zeigte auf die »Herald Tribune«. »Es steht hauptschlich hier drin. In der >Times< kann ich nichts darber finden.«
»In Washington haben sie sptere Ausgaben.« Warren Trent berflog die Schlagzeile der »Herald Tribune« und betrachtete flchtig das dazugehrige Foto. Es zeigte die gestrige Szene in der Halle des St. Gregory mit Dr. Nicholas und Dr. Ingram als Hauptfiguren. Vermutlich wrde er spter auch den Bericht lesen mssen. Im Moment konnte er sich nicht dazu berwinden.
»Soll ich jetzt das Frhstck servieren?«
Warren Trent schttelte den Kopf. »Ich habe keinen Hunger.« Seine Augen hoben sich und begegneten dem festen Blick des jungen Negers. »Sie denken jetzt wahrscheinlich, ich habe nur bekommen, was ich verdiente.«
Royce berlegte. »So etwas hnliches, schtze ich. Vor allem aber wrde ich sagen, da Sie die 2feit, in der wir leben, nicht akzeptieren.«
»Vielleicht, aber das braucht Sie nicht mehr zu bekmmern. Meine Meinung drfte hier im Hotel von morgen ab kaum noch ins Gewicht fallen.«
»Das tut mir leid.«
»Mit anderen Worten, O'Keefe bernimmt das Ganze.« Der alte Mann trat an ein Fenster und blickte hinaus. Nach kurzem Schweigen sagte er abrupt: »Ich nehme an, Sie kennen die Bedingungen, die man mir geboten hat - beispielsweise, da ich hier wohnen bleiben kann.«
»Ja.«
»Da es nun einmal so sein soll, werde ich mich wohl, wenn Sie im nchsten Monat Ihr Staatsexamen machen, auch weiterhin mit Ihrer Gesellschaft abfinden mssen. Statt Sie hinauszusetzen, wie ich es eigentlich sollte.«
Aloysius Royce zgerte. Normalerweise htte er mit einer flinken gesalzenen Antwort pariert. Aber er wute, was er eben gehrt hatte, war die flehentliche Bitte eines besiegten alten Mannes, ihn nicht allein zu lassen.
Die Entscheidung fiel Royce schwer; dennoch durfte er sie nicht viel lnger aufschieben. Seit fast zwlf Jahren hatte Warren Trent ihn nahezu wie einen Sohn behandelt. Falls er bliebe, wrden sich seine Pflichten auf die eines Gefhrten und Vertrauten beschrnken, ohne da seine berufliche Arbeit dadurch beeintrchtigt wrde. Sein Leben wrde keineswegs unerfreulich sein. Und doch gab es andere, dazu im Widerspruch stehende Forderungen, die seinen Entschlu, zu gehen oder zu bleiben, beeinfluten.
»Darber habe ich mir noch kaum Gedanken gemacht«, log er. »Vielleicht sollte ich mich endlich mal damit befassen.«
Warren Trent dachte: Alle Dinge, groe oder kleine, nderten sich, die meisten ganz pltzlich. Er bezweifelte nicht im mindesten, da Aloysius Royce ihn demnchst verlassen wrde, genauso wie ihm schlielich die Kontrolle ber das St. Gregory entglitten war. Sein Gefhl des Alleinseins und nun noch des Ausgeschlossenwerdens vom Hauptstrom der Ereignisse war vermutlich typisch fr Menschen, die zu lange gelebt hatten.
»Sie knnen gehen, Aloysius«, sagte er. »Ich mchte fr eine Weile allein sein.«
In einigen Minuten wrde er Curtis O'Keefe anrufen und kapitulieren.
5
Die Zeitschrift »Time«, deren Herausgeber eine vielversprechende Story erkannten, wenn sie sie in ihren Morgenzeitungen lasen, hatte sich schleunigst auf den Brgerrechtsskandal im St. Gregory gestrzt. Ihr Korrespondent in New Orleans - ein Redakteur des »States-Item« - wurde alarmiert und angewiesen, alles, was er ber den lokalen Hintergrund in Erfahrung bringen konnte, zusammenzutragen. Der Chef des »Time«-Bro in Houston war bereits in der vergangenen Nacht, kurz nachdem eine Frhausgabe der »Herald Tribune« die Geschichte in New York gebracht hatte, telefonisch benachrichtigt worden und mit der ersten Maschine nach New Orleans geflogen.
Nun hockten die beiden Mnner mit Herbie Chandler, dem Chefportie r, in einem Kabuff im Erdgescho. Es lief unter der Bezeichnung »Presseraum« und war sprlich mbliert mit einem Schreibtisch, Telefon und Garderobenstnder. Der Mann aus Houston sa, seinem Rang entsprechend, auf dem einzigen Stuhl.
Chandler, der die Grozgigkeit der »Time« gegenber allen, die ihr den Weg ebneten, kannte, berichtete von einem Erkundungsgang, von dem er gerade zurckgekehrt war.
»Hab' mich nach der Sitzung der Zahnrzte umgehorcht. Sie verrammeln den Saal wie bei einer Belagerung. Dem Oberkellner haben sie gesagt, niemand darf rein auer Mitgliedern, nicht mal die Frauen, und an den Tren kontrollieren ihre eigenen Leute die Namen. Bevor die Sitzung anfngt, mssen alle Hotelangestellten rausgehen, und dann werden die Tren von innen versperrt.«
Der Brochef nickte - ein eifriger junger Mann mit Brstenhaarschnitt namens Quaratone, der bereits Dr. Ingram, den Prsidenten des Zahnrztekongresses interviewt hatte. Der Bericht des Chefportiers besttigte, was er gehrt hatte.
»Sicher, wir haben eine Sondersitzung fr smtliche Tagungsteilnehmer anberaumt«, hatte Dr. Ingram gesagt. »Unser Vorstand hat sich gestern nacht dazu entschlossen, aber die ffentlichkeit ist nicht zugelassen. Wenn es nach mir ginge, Sohn, knnte jeder zuhren, das knnen Sie mir glauben. Aber einige meiner Kollegen sehen die Sache anders. Ihrer Meinung nach reden die Leute nur dann frei von der Leber weg, wenn sie wissen, da die Presse nicht dabei ist. Folglich werden Sie das Ende der Sitzung abwarten mssen.«
Quaratone, der nichts dergleichen im Sinn hatte, bedankte sich hflich bei Dr. Ingram. Mit Herbie Chandler als Verbndetem hatte er ursprnglich vorgehabt, sich einer alten Kriegslist zu bedienen und in der geborgten Uniform eines Boys an der Sitzung teilzunehmen. Chandlers Bericht zwang ihn, seinen Plan zu ndern.
»Ist der Raum, in dem die Sitzung stattfindet, ein groer Tagungssaal?« erkundigte sich Quaratone.
Chandler nickte. »Der Dauphine-Salon, Sir. Dreihundert Sitzpltze. So viele werden ungefhr erwartet.«
Der Mann von der »Time« berlegte. Eine Beratung, an der dreihundert Personen teilnahmen, pflegte nur so lange geheim zu sein wie sie dauerte. Wenn er sich also gleich nach dem ffnen der Tren unter die herausstrmenden Delegierten mischte und als einer der ihren posierte, wrde er erfahren, was geschehen war. Dabei entgingen ihm jedoch jene kleinen menschlichen interessanten Einzelheiten, von denen sich die »Time« und ihre Leser nhrten.
»Hat der Salon einen Balkon?«
»Ja, einen kleinen, aber daran haben die auch gedacht. Ich hab' mich erkundigt. Zwei Tagungsmitglieder werden oben sitzen. Auerdem werden die Mikrophone der Lautsprecheranlage ausgeschaltet.«
»Teufel!« sagte der lokale Zeitungsmann. »Wovor frchtet sich die Sippschaft - vor Saboteuren?«
Quaratone dachte laut: »Ein paar von ihnen wollen den Mund aufmachen, mchten aber nicht, da es publik wird. Angehrige freier Berufe sind im allgemeinen nicht scharf darauf, Farbe zu bekennen - jedenfalls nicht in Rassefragen. Die hier sind sowieso schon in der Klemme, indem sie praktisch die Wahl zulassen zwischen einer drastischen Aktion wie dem angedrohten Massenauszug und einer schnen Geste, die lediglich dazu dient, den Schein zu wahren. Insofern, wrde ich sagen, ist die Situation einzigartig.« Und auch viel interessanter, als ich zuerst glaubte, setzte er in Gedanken hinzu. Er war fester denn je entschlossen, sich irgendwie Zugang zu der Debatte zu verschaffen.
Unvermittelt sagte er zu Herbie Chandler: »Ich brauche einen Plan von der betreffenden Etage und der Etage darber. Keinen Grundri, verstehen Sie, sondern eine technische Zeichnung mit den Wnden, Leitungsrohren, Zwischendecken und allem anderen. Und ich brauch' ihn schnell, denn wenn wir was erreichen wollen, haben wir blo noch eine knappe Stunde.«
»Ich wei wirklich nicht, ob wir so was haben, Sir. Auf jeden Fall...« Der Chefportier verstummte und beobachtete Quaratone, der in einem Bndel von Zwanzig-Dollar-Noten bltterte.
Der Mann von der »Time« hndigte Chandler fnf von den Scheinen aus. »Knpfen Sie sich einen Monteur, einen Techniker oder sonst jemanden vor. Stecken Sie ihm das hier zu. Fr Sie sorg' ich spter. Kommen Sie in einer halben Stunde wieder her - oder eher, wenn's mglich ist.«
»Yessir!« Chandlers Wieselgesicht verzog sich zu einem unterwrfigen Lcheln.
Dann gab Quaratone dem Reporter aus New Orleans seine Instruktionen. »Sie kmmern sich weiter um den lokalen Aspekt, ja? Stellungnahme des Magistrats, fhrender Brger; sprechen Sie auch mit jemandem von der N.A.A.C.P. Sie wissen schon, was ich meine.«
»Knnte es im Schlaf schreiben.«
»Lieber nicht. Sorgen Sie auch fr ein paar menschlich interessante Zge. Wre vielleicht keine schlechte Idee, wenn Sie den Brgermeister im Waschraum abfangen knnten. Er wscht sich die Hnde, whrend er Ihnen seine Erklrung gibt. Symbolisch. Ein guter Aufhnger.«
»Okay. Werd' mich auf dem Lokus verstecken.« Der Reporter zog vergngt ab, im Bewutsein, da auch er grozgig bezahlt werden wrde.
Quaratone selbst wartete in der Cafeteria des St. Gregory. Er bestellte sich einen eisgekhlten Tee und nippte zerstreut daran, in Gedanken mit der Story beschftigt, die sich allmhlich herauskristallisierte. Sie war kein ausgesprochener Knller, aber wenn er sie mit einigen neuen Gesichtspunkten ausstaffieren konnte, dann war sie vielleicht ihre anderthalb Spalten in der nchsten Nummer wert. Was ihn freuen wrde, weil in den letzten Wochen ein Dutzend oder mehr seiner sorgsam zurechtgetrimmten Storys von New York entweder abgelehnt oder beim Umbruch der Zeitschrift von wichtigeren Themen verdrngt worden waren. Das war nichts Ungewhnliches, und »Time-Life«-Mitarbeiter hatten es gelernt, in einem Vakuum zu schreiben und sich mit ihren enttuschten Erwartungen abzufinden. Aber Quaratone sah sich gern gedruckt, und wo es sich lohnte, wollte er gern beachtet werden.
Er kehrte in den winzigen Presseraum zurck. Wenige Minuten danach tauchte Herbie Chandler auf, mit einem jungen Mann im Schlepptau. Er hatte scharfgeschnittene Zge, trug Overalls, und der Chefportier stellte ihn als Ches Ellis, einen Hotelmonteur, vor. Der Neuankmmling schttelte Quaratone schchtern die Hand, zeigte auf eine Rolle von Plnen unter seinem Arm und sagte ungelenk: »Die mu ich aber zurck haben.«
»Ich mchte nur etwas nachsehen. Es dauert nicht lange.« Quaratone half Ellis beim Aufrollen der Plne und hielt die Ecken fest. »Also, wo ist der Dauphine-Salon?«
»Genau hier.«
Chandler warf ein: »Ich erzhlte ihm von der Sitzung, Sir, und da Sie von irgendwo alles mithren wollen.«
»Was ist in den Wnden und Decken?« erkundigte sich der Mann von der »Time« bei Ellis.
»Die Wnde sind massiv. Zwischen der Decke und dem Fuboden darber ist ein Hohlraum, aber falls Sie vorhaben, dort reinzukriechen, sind Sie schief gewickelt. Sie wrden durch den Verputz brechen.«
»Schade«, sagte Quaratone, der das in der Tat erwogen hatte. Sein Finger tippte auf eine andere Stelle. »Was sind das fr Linien?«
»Abzugsrohre fr die Heiluft aus der Kche. Wenn Sie denen in die Nhe kommen, werden Sie gebraten.«
»Und das?«
Ellis beugte sich vor, betrachtete die Zeichnung und zog einen zweiten Plan zu Rate. »Kaltluftleitungen - laufen in der Decke des Dauphine-Salons entlang.«
»Hat der Raum Luftklappen?«
»Drei. Eine in der Mitte und zwei am Ende. Sie knnen die Markierung sehen.«
»Welchen Durchmesser hat das Rohr?«
Der Monteur dachte nach. »Ich schtze - ungefhr neunzig Zentimeter.«
»Okay«, erklrte Quaratone energisch. »Zeigen Sie mir das Rohr. Ich mchte hineinkriechen, damit ich hren und sehen kann, was sich im Saal abspielt.«
Die Vorbereitungen erforderten erstaunlich wenig Zeit. Ellis, der zunchst nicht recht spurte, wurde von Chandler dazu gebracht, einen zweiten Overall und eine Werkzeugtasche zu besorgen. Der Mann von der »Time« zog sich um und griff sich das Werkzeug. Dann bugsierte Ellis ihn nervs, aber unangefochten zu einem Nebenraum der Etagenkche. Der Chefportier verschwand diskret von der Bildflche. Quaratone hatte keine Ahnung, wieviel von den hundert Dollar Chandler an Ellis weitergereicht hatte - vermutlich nicht alles -, aber offenbar war es genug.
Sie durchquerten die Kche, ohne aufzufallen - allem Anschein nach zwei Monteure, die ihrer Arbeit nachgingen. Im Nebenraum hatte Ellis ein hoch an der Wand angebrachtes Eisengitter vorsorglich im voraus entfernt. Eine hohe Stehleiter stand vor der ffnung, die das Gitter verschlossen hatte. Schweigend stieg Quaratone die Leiter hinauf und schob sich in das Loch. Er stellte fest, da das Rohr gerade dick genug war, um auf den Ellenbogen vorwrts zu robben. Bis auf einen sprlichen Lichtschimmer von der Kche her umgab ihn tiefes Dunkel. Er sprte einen kalten Lufthauch im Gesicht; der Luftdruck erhhte sich, als sein Krper das Rohr mehr ausfllte.
Hinter ihm flsterte Ellis: »Zhlen Sie die Luftklappen! Die vierte, fnfte und sechste gehrten zum Dauphine-Salon. Und seien Sie mglichst leise, Sir, sonst hrt man Sie. In einer halben Stunde komme ich zurck, und falls Sie da noch nicht fertig sind, eine halbe Stunde danach.«
Quaratone versuchte den Kopf zu drehen, aber es gelang ihm nicht. Ihm ging auf, da der Rckweg schwieriger sein wrde als der Hinweg.
Die Eisenwandung maltrtierte seine Knie und Ellenbogen. Auerdem hatte sie peinvoll scharfe Unebenheiten. Quaratone zuckte zusammen, als das spitze Ende einer Schraube seine Overalls zerri und ihm das Bein aufkratzte. Nach hinten greifend, machte er sich los und kroch vorsichtig weiter.
Die Luftklappen waren leicht zu erkennen, weil Licht von unten hindurchsickerte. Er robbte sich ber drei hinweg, in der Hoffnung, da Gitter und Rohr sicher verankert waren. Als er sich der vierten nherte, konnte er Stimmen hren. Die Sitzung hatte anscheinend begonnen. Zu Quaratones Entzcken waren die Stimmen deutlich vernehmbar, und mit ein wenig Halsverrenken konnte er einen Teil des Raumes unter ihm berblicken. Die Sicht, dachte er, wrde von der nchsten Klappe aus ielleicht sogar noch besser sein. Es war in der Tat so. Nun konnte er mehr als die Hlfte der dichtgedrngten Versammlung sehen, einschlielich einer erhhten Plattform, auf der Dr. Ingram, der Prsident des Zahnrztekongresses, stand und sprach. Der Mann von der »Time« frderte ein Notizbuch und einen Kugelschreiber zutage, letzterer mit einer kleinen Glhbirne am Ende.
»... fordere ich Sie auf«, erklrte Dr. Ingram, »so entschlossen wie mglich dagegen vorzugehen.«
Er hielt inne und fuhr dann fort: »Angehrige freier Berufe wie wir, die von Natur neutral sind, haben im Kampf um die Menschenrechte viel zu lange abseits gestanden. Unter uns machen wir - in den meisten Fllen wenigstens - keinen Unterschied, und bisher haben wir das als ausreichend betrachtet. Im allgemeinen haben wir Ereignisse und Zwangsmanahmen auerhalb unserer Reihen ignoriert. Wir haben unsere Haltung damit begrndet, da wir schwer arbeitende Mediziner sind und wenig Zeit fr andere Dinge haben. Nun, vielleicht stimmt das, auch wenn es bequem ist. Aber jetzt und hier stecken wir - ob es uns nun pat oder nicht -bis zu unseren Weisheitszhnen in der Sache drin.«
Der kleine Doktor verstummte; seine Augen durchforschten die Gesichter seiner Zuhrer. »Sie sind bereits ber den unverzeihlichen Affront im Bilde, der unserem hervorragenden Kollegen Dr. Nicholas in diesem Hotel begegnet ist - ein Affront, der den verfassungsmig festgelegten Brgerrechten offen hohnspricht. Als Vergeltungsmanahme habe ich, als Ihr Prsident, zu einem drastischen Schritt geraten. Wir wollten unsere Tagung abblasen und en masse aus diesem Hotel ausziehen.«
Aus verschiedenen Teilen des Raumes kam ein berraschtes chzen. »Die meisten von Ihnen kennen diesen Vorschlag schon«, sagte Dr. Ingram. »Fr andere, die heute morgen erst eintrafen, ist er neu. Ich mchte beiden Gruppen sagen, da der Schritt, den ich vorgeschlagen habe, Unbequemlichkeit, Enttuschung - fr mich nicht weniger als fr Sie - und berufliche wie ffentliche Verluste mit sich bringt. Aber bei manchen Anlssen, zumal wenn es um Gewissensfragen geht, ist man zu berzeugenden Aktionen gentigt. Meiner Meinung nach haben wir es hier mit solch einem Anla zu tun. Auerdem ist es das einzige Mittel, um die Strke unserer Gefhle zu demonstrieren und unmiverstndlich zu beweisen, da der Zahnrzteverband in Sachen der Menschenrechte nicht mit sich spaen lt.«
Im Auditorium wurde der Ruf »Hrt, hrt!« laut, aber auch ablehnendes Gemurmel.
In einer der mittleren Sitzreihen hievte sich eine stmmige Gestalt hoch. Quaratone, der sich auf seinem Beobachtungsposten vorbeugte, hatte den Eindruck eines lchelnden Gesichts mit Kinnwlsten, dicken Lippen und dicker Brille. Der stmmige Mann verkndete: »Ich bin aus Kansas City.« Er erntete gutmtigen Beifall, fr den er sich mit einem Schwenken seiner molligen Hand bedankte. »Ich habe nur eine Frage an den Doktor. Ist er bereit, meinem kleinen Frauchen, das sich, wie viele andere Frauen, schtz ich, auf diese Reise gefreut hat, zu erklren, warum wir, gerade erst angekommen, kehrtmachen und wieder nach Haus fahren mssen?«
Eine emprte Stimme protestierte: »Das ist nicht der springende Punkt!« Sie wurde von ironischen Zurufen und Gelchter bertnt.
»Yessir«, sagte der stmmige Mann, »ich mchte ihn dabei sehen, wie er's meiner Frau erklrt.« Er setzte sich mit selbstgeflliger Miene.
Dr. Ingram sprang mit entrstetem, hochrotem Gesicht auf. »Meine Herren, das ist eine dringende, ernste Angelegenheit. Wir haben die Entscheidung bereits um vierundzwanzig Stunden hinausgezgert, was meiner Meinung nach wenigstens einen halben Tag zu lang ist.«
Der Applaus war kurz und vereinzelt. Mehrere Stimmen redeten auf einmal. Der Vorsitzende, neben Dr. Ingram, klopfte mit dem Hammer.
Danach sprachen einige andere Delegierte, die zwar die Ausweisung von Dr. Nicholas beklagten, die Frage der Vergeltung jedoch unbeantwortet lieen. Schlielich richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit wie in stillschweigender bereinstimmung auf einen schlanken adretten Mann, von dem eine unauffllige Autoritt ausging. Quaratone bekam den Namen, den der Vorsitzende ankndigte, nicht mit, fing jedoch auf: »... zweiter Vizeprsident und...«
Der neue Redner begann mit einer trockenen, scharfen Stimme: »Auf mein Drngen hin und mit Untersttzung einiger meiner Kollegen im Vorstand wurde beschlossen, diese Sitzung unter Ausschlu der ffentlichkeit abzuhalten. Folglich knnen wir offen sprechen, ohne befrchten zu mssen, da unsere Ansichten auerhalb dieses Raumes publik gemacht und womglich entstellt wiedergegeben werden. Der Beschlu, das mchte ich hinzufgen, wurde von unserem hochgeschtzten Prsidenten Dr. Ingram heftig bekmpft.«
Von der Plattform herunter knurrte Dr. Ingram: »Haben Sie Angst vor Verwicklungen?«
Die Frage ignorierend, fuhr der adrette Mann fort: »Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, da ich die Rassendiskriminierung fr verwerflich halte. Einige meiner besten...« - er zgerte - »... meiner beliebtesten Mitarbeiter gehren einer anderen Konfession und Rasse an. Ferner bedaure ich ebenso wie Dr. Ingram den gestrigen Zwischenfall. Tatschlich stimmen wir nur in einem Punkt nicht berein. Dr. Ingram zieht - um gleich ihm in Metaphern zu sprechen - eine Extraktion vor. Ich bin dafr, den Zwischenfall weniger drastisch wie eine zwar unangenehme, aber lokalisierte Infektion zu behandeln.« Leises Lachen ging durch die Reihen, das der Sprecher mit einem Lcheln beantwortete.
»Ich kann nicht glauben, da es unserem abwesenden Kollegen Dr. Nicholas auch nur im mindesten ntzt, wenn wir die Tagung abbrechen. Fr uns jedoch wre es ein groer Verlust. Im brigen - da wir hier unter uns sind, sage ich das ganz offen - kann ich nicht finden, da das Problem der Rassenbeziehungen uns als Organisation berhaupt etwas angeht.«
»Natrlich geht es uns an! Geht es denn nicht jeden an?« protestierte eine einzelne Stimme aus dem Hintergrund. Aber sonst herrschte aufmerksames Schweigen.
Der Redner schttelte den Kopf. »Welchen Standpunkt wir auch immer einnehmen oder verwerfen, wir tun es als Individuen. Natrlich mssen wir notfalls unsere eigenen Leute untersttzen, und ich werde gleich auf gewisse Schritte im Fall von Dr. Nicholas zu sprechen kommen. Ansonsten pflichte ich Dr. Ingram bei, da wir schwer arbeitende Mediziner sind und wenig Zeit fr andere Dinge haben.«
Dr. Ingram sprang auf. »Das habe ich nicht gesagt! Ich wies darauf hin, da diese Haltung frher gang und gbe war. Aber ich bin mit ihr durchaus nicht einverstanden.«
»Nichtsdestoweniger fiel die Bemerkung«, entgegnete der adrette Mann mit einem Schulterzucken.
»Aber nicht in diesem Sinn. Ich dulde nicht, da man meine Worte verdreht!« Die Augen des kleinen Doktors funkelten rgerlich. »Mr. Chairman, wir verwenden hier leichtfertig Ausdrcke, wie >unselig<, >bedauerlich<. Aber sehen Sie denn nicht ein, da wir damit der Sache nicht gerecht werden, da es sich um eine Frage des Anstandes und menschlicher Rechte handelt? Wenn Sie gestern hier gewesen wren und die Demtigung eines Kollegen und Freundes und guten Mannes mit angesehen -«
Es wurde »Zur Ordnung! Zur Ordnung!« gerufen, und als der Vorsitzende seinen Hammer bettigte, lie sich Dr. Ingram widerstrebend auf seinen Stuhl sinken.
»Darf ich fortfahren?« fragte der adrette Mann hflich. Der Vorsitzende nickte.
»Danke. Meine Herren, ich will mich kurz fassen. Erstens schlage ich vor, da wir knftig unsere Kongresse an Orten abhalten, wo Dr. Nicholas und andere seiner Rasse ohne Fragen und Bedenken akzeptiert werden. Solche Orte sind in groer Zahl vorhanden, und ich bin sicher, uns brigen werden sie durchaus annehmbar erscheinen. Zweitens schlage ich vor, da wir eine Resolution verabschieden, in der wir die Haltung des Hotels und die Ausweisung von Dr. Nicholas streng verurteilen. Danach sollten wir unseren Kongre, wie geplant, fortsetzen.«
Dr. Ingram schttelte unglubig den Kopf.>
Der Redner blickte auf ein Blatt Papier in seiner Hand. »In Verbindung mit mehreren anderen Mitgliedern unseres Vorstandes habe ich eine Resolution aufgesetzt... «
Quaratone auf seinem Ausguck hrte nicht mehr zu. Die Resolution selbst war unwichtig. Ihr Inhalt war vorauszusagen; notfalls konnte er sich spter den Text verschaffen. Statt dessen beobachtete er die Gesichter der Delegierten. Es waren Durchschnittgsgesichter von leidlich gebildeten Mnnern. Sie spiegelten Erleichterung wider. Erleichterung darber, dachte Quaratone, da ihnen eine so unangenehme, ungewohnte Aktion, wie Dr. Ingram sie vorgeschlagen hatte, erspart blieb.
Das formelle, im besten demokratischen Stil verabreichte Wortgepltscher wies ihnen einen willkommenen Ausweg. Das Gewissen war beruhigt, die Bequemlichkeit gewhrleistet. Es gab auch einen milden Protest - von seiten eines Diskussionsredners, der Dr. Ingram untersttzte -, aber er war kurzlebig. Die Versammlung machte sich bereits daran, weitschweifig den Wortlaut der Resolution zu diskutieren.
Der Mann von der »Time« frstelte - eine Mahnung, da er, abgesehen von anderen Unannehmlichkeiten, seit beinahe einer Stunde in einer Kaltluftleitung hockte. Aber die Mhe hatte sich gelohnt. Er hatte einen Originalbericht, den die Stilisten in New York zu einer zndenden Story umschreiben konnten. Er hatte auerdem so eine Ahnung, da sein Manuskript diese Woche nicht unter den Tisch fallen wrde.
6
Peter McDermott hrte von dem Beschlu der Zahnrzte, ihren Kongre fortzusetzen, beinahe sofort, nachdem die Geheimsitzung beendet war. Wegen der offenkundigen Bedeutung der Sitzung fr das Hotel hatte er vor dem DauphineSalon einen Angestellten postiert, mit der Weisung, ihm unverzglich Bescheid zu geben. Vor ein oder zwei Minuten hatte der Angestellte angerufen und berichtet, den Gesprchen der herauskommenden Delegierten nach zu schlieen, sei der Antrag, die Tagung abzubrechen, offenbar abgelehnt worden.
Um des Hotels willen mute er sich wohl darber freuen, dachte Peter. Statt dessen fhlte er sich deprimiert. Er fragte sich, wie Dr. Ingram zumute sein mochte, dessen berzeugende Begrndung und Freimtigkeit man zurckgewiesen hatte. Warren Trents zynische Einschtzung der Situation war also doch richtig gewesen, sagte sich Peter nchtern. Er mute wohl den Hotelbesitzer informieren.
Als Peter die Direktionsleitung der Verwaltungssuite betrat, blickte Christine von ihrem Schreibtisch auf. Ihr warmes Lcheln erinnerte ihn daran, wie sehr er sich am Abend zuvor danach gesehnt hatte, mit ihr zu sprechen.
Sie fragte: »War die Einladung nett?« Als er zgerte, zog sie belustigt die Brauen hoch. »Du hast sie doch nicht etwa schon wieder vergessen?«
Er schttelte den Kopf. »Doch, sie war sehr nett. Aber du hast mir gefehlt - und ich hab' noch immer ein schlechtes Gewissen, weil ich die Verabredung durcheinandergebracht habe.«
»Inzwischen sind wir vierundzwanzig Stunden lter. Denk nicht mehr daran.«
»Falls du frei bist, knnten wir es vielleicht heute abend nachholen.«
»Es schneit Einladungen!« sagte Christine. »Heute abend esse ich mit Mr. Wells.«
»Dann ist er also wieder auf dem Posten?«
»Noch nicht so weit, da er ausgehen kann. Deshalb essen wir im Hotel. Komm doch nachher zu uns, falls du lnger arbeitest.«
»Wenn ich's schaffe, gern.« Er zeigte auf die geschlossenen Doppeltren vom Bro des Hotelbesitzers. »Ist W. T. da?«
»Ja, du kannst hineingehen. Aber ich hoffe, es ist nichts Unangenehmes. Er macht heute morgen einen niedergedrckten Eindruck.«
»Ich habe eine Neuigkeit, die ihn vielleicht aufheitert. Die Zahnrzte haben eben gegen den Abbruch der Tagung gestimmt.« Er fgte ernst hinzu: »Du hast vermutlich die New Yorker Zeitungen gesehen?«
»Ja, und ich mchte sagen, wir haben bekommen, was wir verdienen.«
Er nickte zustimmend.
»Die lokalen Zeitungen habe ich auch gelesen«, sagte Christine. »In der grlichen Unfallsache gibt's nichts Neues. Ich mu dauernd daran denken.«
»Ich auch«, sagte er verstndnisvoll. Wieder sah er deutlich die Szene von vor drei Nchten vor sich - das abgesperrte lichtberflutete Stck Strae, das die Polizei beharrlich nach Spuren absuchte. Er fragte sich, ob die Nachforschungen nach dem schuldigen Wagen und Fahrer Erfolg haben wrden. Vielleicht waren beide lngst in Sicherheit und nicht mehr zu berfhren, obwohl er das nicht hoffte. Das eine Verbrechen erinnerte ihn an ein anderes. Er durfte nicht vergessen, Ogilvie zu fragen, ob sich ber Nacht in der Hoteldiebstahlaffre etwas Neues ergeben hatte. Nun, wo er daran dachte, wunderte er sich, da sich der Hausdetektiv nicht schon lngst bei ihm gemeldet hatte.
Mit einem letzten Lcheln fr Christine klopfte er an die Tr von Warren Trents Bro und ging hinein.
Die Neuigkeit, die Peter brachte, schien wenig Eindruck zu machen. Der Hotelbesitzer nickte zerstreut, als widerstrebe es ihm, aus irgendwelchen heimlichen Trumen, denen er nachhing, in die Wirklichkeit umzuschalten. Er schien im Begriff zu sprechen - ber ein anderes Thema, das sprte Peter
- und berlegte es sich dann pltzlich anders. Nach einer Unterredung, wie man sie sich unbefriedigter nicht denken konnte, ging Peter wieder.
Albert Wells hatte recht gehabt mit seiner Voraussage, da Peter McDermott sie fr den Abend einladen wrde. Christine bedauerte fast, da sie sich - absichtlich - etwas anderes vorgenommen hatte.
Dabei fiel ihr der Kunstgriff ein, den sie sich gestern ausgedacht hatte, damit der Abend fr Albert Wells nicht zu kostspielig wrde. Sie rief Max, den Oberkellner vom Hauptrestaurant, an.
»Max«, sagte Christine, »Ihre Dinnerpreise sind haarstrubend.«
»Ich mache sie nicht, Miss Francis. Manchmal wnsche ich mir, ich drfte sie machen.«
»War in der letzten Zeit nicht viel los?«
»Also, an manchen Abenden komme ich mir vor wie Livingstone, der auf Stanley wartet«, sagte der Oberkellner. »Wissen Sie, Miss Francis, die Leute werden immer schlauer. Sie sind dahintergekommen, da Hotels wie unsere eine zentrale Kche haben und da sie, egal in welchen unserer Restaurants sie essen, dieselben Gerichte, von denselben Kchen auf dieselbe Art zubereitet, vorgesetzt kriegen. Folglich sagen sie sich, warum nicht da essen, wo es billiger ist, auch wenn die Bedienung nicht so extrafein ausfllt.«
»Ich habe einen Freund«, sagte Christine, »der gern gut bedient wird - einen lteren Herrn namens Wells. Wir werden heute zum Dinner kommen. Sorgen Sie bitte dafr, da die Rechnung ertrglich ist, aber nicht so sehr, da es ihm auffllt. Mit der Differenz knnen Sie mein Konto belasten.«
Der Oberkellner schmunzelte vernehmlich. »Hren Sie! So ein Mdchen wie Sie wrde ich selbst gern kennenlernen.«
Sie erwiderte: »Bei Ihnen wrde ich das nicht machen, Max. Jeder wei, da Sie einer von den zwei reichsten Leuten im Hotel sind.«
»Und wer soll der andere sein?«
»Herbie Chandler, oder nicht?«
»Sie tun mir keinen Gefallen, wenn Sie meinen und seinen Namen in einem Atemzug nennen.«
»Aber Sie kmmern sich um Mr. Wells?«
»Miss Francis, wenn wir ihm die Rechnung prsentieren, wird er glauben, er htte in einem Automatenrestaurant gegessen.«
Lachend legte sie auf, berzeugt davon, da Max das Problem taktvoll und vernnftig lsen wrde.
Unglubig, vor Wut schumend, las Peter McDermott das Memorandum von Ogilvie zum zweitenmal durch.
Er hatte es auf seinem Schreibtisch gefunden, als er von seinem kurzen Gesprch mit Warren Trent zurckkehrte.
Mit Datum und Zeitstempel von gestern nacht versehen, war es vermutlich in Ogilvies Bro zurckgelassen worden, um mit der internen Post eingesammelt zu werden. Es lag auch auf der Hand, da Zeitpunkt und Zustellmethode geplant waren, so da es ihm unmglich war - wenigstens im Moment -, irgend etwas in bezug auf den Inhalt zu unternehmen.
Der Text lautete:
»Mr. P. McDermott
Betrifft: Urlaub
Der Unterzeichnete teilt hflichst mit, da ich kurzfristig vier Tage Urlaub nehme. Von den sieben Tagen, die fllig sind, aus dringenden persnlichen Grnden.Mein Stellvertreter, W. Finnegan, wei in Sachen Diebstahl, Abwehrmanahmen etc. etc. Bescheid. Wird sich auch um alle anderen Angelegenheiten kmmern.
Unterzeichneter wird sich am kommenden Montag zum Dienst zurckmelden.
Hochachtungsvoll T. I. Ogilvie Chefdetektiv«
Peter erinnerte sich emprt daran, da Ogilvie vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden die Anwesenheit eines professionellen Hoteldiebs fr hchstwahrscheinlich gehalten hatte. Seinen Vorschlag, fr ein paar Tage in das St. Gregory zu ziehen, hatte der fette Mann zurckgewiesen. Sogar zu diesem Zeitpunkt mute Ogilvie bereits gewut haben, da er wenige Stunden spter in Urlaub gehen wrde, hatte jedoch seine Absicht mit keiner Silbe erwhnt. Warum? Offenbar, weil ihm klar war, da Peter heftig protestieren wrde, und er eine Auseinandersetzung und eine mgliche Verzgerung vermeiden wollte.
In dem Memorandum hie es »aus dringenden persnlichen Grnden«. Wenigstens das traf vermutlich zu, sagte sich Peter. Denn sogar Ogilvie wrde, trotz seiner vielgerhmten Beziehungen zu Warren Trent, begreifen, da sein unangekndigtes Verschwinden zu diesem Zeitpunkt bei seiner Rckkehr einen Sturm heraufbeschwren wrde.
Aber um was fr persnliche Grnde mochte es sich handeln? Anscheinend um nichts Rechtschaffenes, das man offen zur Sprache bringen konnte. Sonst htte Ogilvie sich anders verhalten. Im St. Gregory lie man Angestellten, die echte private Sorgen hatten, Mitgefhl und Hilfe zuteil werden. So war es von jeher gewesen.
Folglich handelte es sich um etwas, das Ogilvie nicht offenbaren konnte. Selbst das ging ihn so lange nichts an, dachte Peter, als es den reibungslosen Ablauf des Hotelbetriebes nicht strte. Da dies aber der Fall war, war seine Neugier berechtigt. Er wrde versuchen herauszufinden, wohin der Hausdetektiv gegangen war und warum.
Er rief Flora mit einem Summzeichen herein und hielt das Memorandum hoch.
Sie machte ein bekmmertes Gesicht. »Ich hab' es gelesen und dachte mir gleich, da Sie wtend sein wrden.«
»Versuchen Sie doch, wenn irgend mglich, herauszubekommen, wo er steckt«, sagte Peter. »Rufen Sie bei ihm zu Haus an und auch sonst in allen seinen Schlupfwinkeln, die wir kennen. Stellen Sie fest, ob er heute von jemandem gesehen wurde oder erwartet wird. Hinterlassen Sie Nachricht. Falls Sie Ogilvie aufstbern, mchte ich selbst mit ihm sprechen.«
Flora schrieb auf ihrem Notizblock mit.
»Noch eins - rufen Sie die Garage an. Heute nacht kam ich zufllig am Hotel vorbei. Unser Freund fuhr gegen ein Uhr heraus - in einem Jaguar. Vielleicht hat er jemand gesagt, wohin er fhrt.«
Als Flora verschwunden war, schickte er nach Ogilvies Stellvertreter Finnegan, einem sehnigen, bedchtigen Neuenglnder, der jedesmal grndlich berlegte, bevor er Peters ungeduldige Fragen beantwortete.
Nein, er hatte keine Ahnung, wo Mr. Ogilvie hingefahren war. Erst spt gestern nacht hatte ihm sein Vorgesetzter mitgeteilt, da er, Finnegan, in den nchsten paar Tagen den Befehl bernehmen mte. Ja, seine Leute wren in der Nacht durch die Korridore patrouilliert, htten jedoch nichts Verdchtiges bemerkt. Auch sei heute morgen kein neuer Diebstahl gemeldet worden. Nein, von der Polizei habe er nichts mehr gehrt. Ja, Finnegan wrde persnlich bei der Polizei rckfragen, wenn er, Mr. McDermott das wnschte. Selbstverstndlich wrde er Mr. McDermott sofort informieren, falls Ogilvie von sich hren lie.
Peter schickte Finnegan fort. Im Augenblick konnte er nichts weiter tun, obwohl seine Wut auf Ogilvie noch keineswegs verraucht war.
Einige Minuten danach sagte Flora durch die Sprechanlage: »Miss Marsha Preyscott ist auf Leitung zwei.«
»Sagen Sie ihr, ich htte zu tun und wrde sie spter anrufen.« Peter nahm sich zusammen. »Schon gut, ich spreche mit ihr.«
Er griff nach dem Telefonhrer. Marshas Stimme sagte munter: »Ich hab' alles gehrt.«
»Tut mir leid«, antwortete er und beschlo erbost, Flora daran zu erinnern, da sie das Telefon abschalten mute, solange die Sprechanlage offen war. »Es ist ein lausiger Morgen im Gegensatz zu dem sehr schnen Abend gestern.«
»Ich wette, sich so geschickt aus der Klemme ziehen ist das erste, was Hotelmanager lernen.«
»Fr manche mag das zutreffen, fr mich nicht.«
Sie zgerte sprbar. Dann sagte sie: »War an dem Abend -alles schn?«
»Ja, alles.«
»Fein! Dann will ich auch mein Versprechen einlsen.«
»Mein Eindruck war, da Sie das schon getan haben?«
»Nein, ich hatte Ihnen ein bichen Lokalgeschichte versprochen. Wir knnten heute nachmittag damit anfangen.«
Er war im Begriff, nein zu sagen; einzuwenden, da er das Hotel unmglich verlassen knne, merkte dann aber, da er gern mitgehen wrde. Warum auch nicht? Er nahm die zwei freien Tage in der Woche, die ihm zustanden, selten wahr und hatte letzthin sehr viele berstunden gemacht. Es wrde nicht schwer sein, sich fr kurze Zeit loszueisen.
»Gern«, sagte er. »Mal sehen, wie viele Jahrhunderte wir zwischen zwei und vier Uhr durchnehmen knnen.«
7
Zweimal whrend des zwanzigmintigen Gebets in seiner Suite vor dem Frhstck ertappte sich Curtis O'Keefe dabei, da seine Gedanken wanderten. Es war ein vertrautes Symptom fr innere Rastlosigkeit, deretwegen er Gott um Verzeihung bat, ohne sich jedoch lange bei diesem Punkt aufzuhalten, denn Rastlosigkeit lag in seiner Natur und war daher mutmalich gottgewollt.
Es war jedoch eine Erleichterung, da dies sein letzter Tag in New Orleans war. Am Abend wrde er nach New York fliegen und morgen nach Italien. Sein dortiges Ziel war, fr ihn selbst und Dodo, das Neapel-O'Keefe-Hotel. Abgesehen von dem Szenenwechsel gewhrte ihm der Gedanke Befriedigung, wieder einmal in einem seiner eigenen Huser zu sein. Curtis O'Keefe hatte den Vorwurf seiner Kritiker nie verstanden, da man, wenn man um die ganze Welt reiste und dabei nur in O'Keefe-Hotels abstieg, aus den Vereinigten Staaten nicht herauskam. Obwohl er gern ins Ausland reiste, hatte er auch gern vertraute Dinge um sich - amerikanisches Dekor mit ganz wenig Zugestndnissen an das Lokalkolorit; amerikanische Installationsanlagen; amerikanisches Essen und zumeist auch amerikanische Gste. All das fand man in den O'Keefe-Hotels.
Da er in einer Woche mit derselben Ungeduld seine Abreise aus Italien betreiben wrde wie jetzt aus New Orleans, hatte weiter nichts zu sagen. Sein Imperium war gro - das Tadsch Mahal O'Keefe, das O'Keefe Lissabon, das Adelaide O'Keefe, das O'Keefe Kopenhagen und andere - und der Besuch des groen Bosses wrde, auch wenn das heutzutage bei dem gut funktionierenden Betrieb nicht mehr ntig war, das Geschft beleben, so wie es einer Kathedrale Auftrieb gab, wenn ein Papst kurz in ihr verweilte.
Spter wrde er natrlich nach New Orleans zurckkehren, in ein oder zwei Monaten wahrscheinlich, sobald das St. Gregory -bis dahin das O'Keefe St. Gregory - grndlich berholt und dem Schema eines O'Keefe-Hotels angepat worden war. Sein Eintreffen zu den Erffnungsfeierlichkeiten wrde ein Triumph sein mit viel Trara, einem Empfang durch die Stadt und Teilnahme von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Wie gewhnlich bei solchen Gelegenheiten wrde er ein Gefolge von prominenten Persnlichkeiten mitbringen, einige Stars aus Hollywood mit eingeschlossen, die gegen eine Vergngungsreise auf anderer Leute Kosten nichts einzuwenden hatten.
Je lnger er sich in Gedanken damit beschftigte, desto heftiger wnschte er, es mchte bald soweit sein. Er war auch etwas enttuscht darber, da er bisher nichts von Warren Trent gehrt hatte. Es war jetzt Donnerstag vormittag. Die Bedenkzeit, auf die sie sich geeinigt hatten, lief in neunzig Minuten ab. Offenbar beabsichtigte der Besitzer des St. Gregory aus irgendwelchen Grnden bis zum letztmglichen Moment zu warten bevor er O'Keefes Bedingungen offiziell akzeptierte.
O'Keefe streifte ruhelos durch die Suite. Vor einer halben Stunde war Dodo zu einem Einkaufsbummel aufgebrochen, fr den er sie mit mehreren hundert Dollar in groen Scheinen ausgerstet hatte. Er hatte ihr geraten, sich auch mit einigen leichten Sachen einzudecken, da es in Neapel sogar noch heier war als in New Orleans und fr Einkufe in New York keine Zeit sein wrde. Sie hatte sich berschwenglich bedankt, wie immer, aber nicht mit der glhenden Begeisterung wie gestern bei ihrer Hafenrundfahrt, die nur sechs Dollar gekostet hatte. Frauen sind komische Geschpfe, dachte er.
Er blieb am Fenster stehen und sah hinaus, als am anderen Ende des Salons das Telefon lutete. Er erreichte es mit wenigen Schritten. »Ja?«
Statt der Stimme von Warren Trent, die er zu hren erwartete, kndigte ihm eine Telefonistin ein Ferngesprch an. Hank Lemnitzer war am Apparat.
»Sind Sie das, Mr. O'Keefe?«
»Ja«. Unsinnigerweise wnschte Curtis O'Keefe, sein Reprsentant von der Westkste sollte nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden zweimal anrufen.
»Hab' eine Neuigkeit fr Sie.«
»Und die wre?«
»Dodo hat einen Job.«
»Ich meine, ich htte gestern deutlich genug darauf hingewiesen, da ich fr Miss Lash etwas Besonderes haben mchte.«
»Spezieller geht's nicht, Mr. O'Keefe. Es ist was ganz Besonderes - eine echte Chance. Dodo ist ein Glckspilz.«
»Erzhlen Sie mir mehr.«
»Walt Curzon schiet ein Remake von >You Can't Take It With You<. Erinnern Sie sich? Wir haben uns damals daran beteiligt.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Gestern kriegte ich raus, da Walt ein Mdchen fr die alte Ann-Miller-Rolle braucht. Es ist eine gute Nebenrolle. Pat fr Dodo wie ein strammer Bstenhalter.«
Wieder einmal sagte sich O'Keefe verdrielich, da Lemnitzer bei der Wahl seiner Worte taktvoller sein knnte.