Îòåëü / Hotel Õåéëè Àðòóð
Mde und in der Haltung einer Besiegten sank die Herzogin von Croydon auf den Stuhl zurck. Sie faltete die Hnde, um ihr Zittern zu verbergen, und fragte: »Was wissen Sie?«
»Okay, ich will's Ihnen sagen.« Der Hoteldetektiv lie sich Zeit, paffte gleichmtig eine blaue Rauchwolke in die Luft und beugte dabei ironisch die Herzogin, als wollte er ihren Einspruch herausfordern. Aber bis auf ein angewidertes Nasermpfen enthielt sie sich jeden Kommentars.
Ogilvie zeigte auf den Herzog. »Gestern ziemlich frh am Abend gingen Sie zu >Lindy's Place< in Irish Bayou. Sie fuhren in Ihrem noblen Jaguar und hatten 'ne Dame bei sich. Ich schtze wenigstens, man knnte sie so nennen, wenn man's nicht zu genau nimmt.«
Als Ogilvie grinsend zur Herzogin hinberblickte, sagte der Herzog scharf: »Los, die Details knnen Sie sich sparen!«
»Also«, das fette selbstgefllige Gesicht wandte sich wieder dem Herzog zu, »wie ich gehrt hab', gewannen Sie einhundert Lappen beim Spiel und verloren sie dann wieder an der Bar. Sie hatten gerade die Hlfte vom zweiten Hunderter auf den Kopf gehauen - mit einer wirklich flotten Gesellschaft -, da platzte Ihre Frau mit einem Taxi dazwischen.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Tjah, sehen Sie, Herzog - ich bin schon seit einer Ewigkeit hier in der Stadt und im Hotel. Ich hab' berall Freunde. Mal erweis' ich ihnen einen Gefallen und ein andermal sie mir, und so bin ich immer auf dem laufenden. Wenn die Leute, die hier im Hotel wohnen, was anstellen, erfahr' ich's meistens. Im allgemeinen ahnen sie gar nicht, da ich was wei; sie kennen mich nicht mal. Sie bilden sich ein, ihre kleinen Geheimnisse wren sicher verstaut, und das sind sie auch. Ich kann schweigen. So 'n Fall wie Ihrer ist natrlich was anderes.«
Der Herzog sagte kalt: »Ich verstehe.«
»Eins wrde ich gern wissen. Ich bin von Natur aus neugierig, Gndigste. Wie haben Sie herausbekommen, wo er war?«
»Sie wissen so viel... ck macht das vermutlich auch nichts mehr aus. Mein Mann hat die Angewohnheit, sich beim Telefonieren Notizen zu machen. Und er vergit dann oft, sie zu zerreien.«
Ogilvie klickte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Tjah, wenn man in Kleinigkeiten nachlssig ist, Herzog... nun sehen Sie selbst, in was fr Schwulitten einen das bringt. Na und den Rest stell' ich mir etwa so vor. Sie gondeln nach Haus, mit Ihrer Frau, und Sie sitzen am Steuer, obwohl's nach allem, was spter passiert ist, besser gewesen wre, sie htte am Steuer gesessen.«
»Meine Frau kann nicht fahren.«
»Damit wre der Punkt auch geklrt.« Der Detektiv nickte verstndnisvoll. »Und auerdem, schtz' ich, hatten Sie geladen, und zwar schwer... «
Die Herzogin unterbrach ihn. »Dann wissen Sie also doch nichts! Nichts Genaues jedenfalls! Sie knnen womglich nicht mal beweisen, da -«
»Lady, ich hab' so viele Beweise, wie ich brauche.«
»La ihn ausreden, altes Mdchen«, sagte der Herzog warnend.
»Ganz recht. Halten Sie die Klappe und sperren Sie die Ohren auf. Gestern nacht hab' ich Sie zufllig bei der Rckkehr ins Hotel gesehen. Sie sind durchs Souterrain gekommen und nicht durch die Halle und waren beide verdammt bla um die Nase. Ich war auch gerade erst gekommen und hab' mir natrlich so meine Gedanken gemacht. Wie ich schon sagte, bin ich neugierig on Natur aus.«
»Weiter«, flsterte die Herzogin.
»Ziemlich spt gestern nacht kam dann die Meldung ber den Unfall mit Fahrerflucht durch, und das hat mich auf die Idee gebracht. Ich ging hinunter in die Garage und besah mir in aller Stille Ihren Wagen. Sie wissen's vielleicht nicht, aber er steht hinter einem Pfosten in einer Ecke, wo die Garagisten ihn nicht sehen, wenn sie vorbeikommen.«
Der Herzog fuhr sich mit der Zunge ber die Lippen. »Ich nehme an, das hilft uns jetzt auch nichts mehr.«
»Vielleicht nicht«, gab Ogilvie zu. »Na, jedenfalls hab' ich erst mal ein paar Ausknfte eingeholt - gegenber im Polizeiprsidium, wo ich auch gut bekannt bin.« Er legte eine Pause ein, um krftig an seiner Zigarre zu ziehen, whrend seine Zuhrer schweigend auf die Fortsetzung warteten. Als das Ende der Zigarre rot aufglhte, betrachtete er es prfend und fuhr dann fort: »Drben hatten sie drei Dinge, auf die sie sich bei den Ermittlungen sttzen: einen Scheinwerferring, der abgegangen sein mu, als der Wagen das Kind und die Frau wegschleuderte; ein paar Splitter vom Scheinwerferglas; und dann haben die Kleider des Kindes sie darauf gebracht, da es vermutlich auch eine Wischspur gibt.«
»Eine was?«
»Wenn man Stoff gegen was Hartes reibt, Herzogin, sagen wir einen Kotflgel, der noch dazu blank poliert ist, dann bleibt genau wie bei Fingerabdrcken eine Spur zurck. Die Leute vom Polizeilabor knnen sie abnehmen wie andere Spuren - sie bestuben's mit Puder, und schon hat sich's.«
»Das ist interessant«, sagte der Herzog, als sprche er von etwas, das ihn nicht betraf. »Das wute ich nicht.«
»Die wenigsten wissen das. Ich glaub' allerdings nicht, da es in Ihrem Fall viel ausmacht. Der eine Scheinwerfer ist beschdigt, und der Ring ist futsch. Das reicht schon als Beweis, auch ohne die anderen Spuren und das Blut. O ja, ich htt's Ihnen gleich sagen sollen. Es ist eine ganze Menge Blut am Wagen, obwohl es auf dem schwarzen Lack nicht sehr auffllt.«
»Oh, mein Gott!« Die Herzogin prete eine Hand vor die Augen und wandte sich ab.
»Und was haben Sie nun mit uns vor?« erkundigte sich der Herzog.
Der fette Mann rieb sich die Hnde und blickte auf seine fleischigen Finger. »Wie ich schon sagte, bin ich hergekommen, um mir Ihre Version anzuhren.«
»Was knnte ich denn dazu noch sagen?« fragte der Herzog verzweifelt. »Sie wissen doch, was passiert ist. Rufen Sie am besten gleich die Polizei. Dann haben wir's hinter uns.«
»Warum haben Sie's so eilig?« Ogilvies absurde Fistelstimme klang pltzlich versonnen. »Was passiert ist, ist passiert. berstrzte Manahmen machen das Kind und die Mutter auch nicht wieder lebendig. Auerdem wrde Ihnen das, was sie drben im Prsidium mit Ihnen anstellen, nicht gefallen, Herzog. Nein, Sir, es wrde Ihnen ganz bestimmt nicht gefallen.«
Die beiden anderen hoben langsam die Augen.
»Ich hatte gehofft, ihr zwei wrdet mir einen besseren Vorschlag machen.«
»Das verstehe ich nicht«, murmelte der Herzog unsicher.
»Aber ich«, sagte die Herzogin. »Sie wollen Geld, nicht wahr? Sie sind gekommen, um uns zu erpressen.«
Falls sie erwartet hatte, ihre Worte wrden Ogilvie aus der Fassung bringen, wurde sie enttuscht. Der Hoteldetektiv zuckte gleichmtig mit den Schultern. »Nennen Sie's, wie Sie wollen, Herzogin; mir ist das schnuppe. Ich bin blo hier, um euch beiden aus der Klemme zu helfen. Aber ich mu schlielich auch leben.«
»Wenn wir Ihnen Geld geben, wrden Sie das, was Sie wissen, fr sich behalten?«
»Ich denke schon.«
»Aber nach allem, was Sie sagen, wrde es uns nichts ntzen«, wandte die Herzogin ein. Sie hatte fr den Moment ihre innere Sicherheit wiedergefunden. »Der Wagen wrde in jedem Fall entdeckt werden.«
»Das Risiko mssen Sie schon in Kauf nehmen, schtz' ich. Aber es spricht einiges dafr, da es vielleicht nicht dazu kommen wird.«
»Wieso?«
»Also, ganz klar ist mir das auch noch nicht. Aber als Sie das Kind berfuhren, waren Sie auf dem Weg aus der Stadt und nicht in die Stadt, wie man's von Rechts wegen erwarten sollte.«
»Wir haben uns auf dem Rckweg verfahren und sind irgendwie in die umgekehrte Richtung geraten«, erklrte die Herzogin. »In New Orleans mit seinen gewundenen Straen passiert einem das leicht. Spter fuhren wir auf Seitenwegen zum Hotel zurck.«
»Ich hab' mir gleich gedacht, da es so gewesen sein knnte.« Ogilvie nickte verstndnisinnig. »Aber die Polizei hat sich das anders zurechtgelegt. Sie tippt auf jemanden, der auerhalb wohnt, und kmmt deshalb im Moment die Vororte und umliegenden Stdte durch. Mit der Zeit wird sie vermutlich auch die Innenstadt absuchen, aber so weit ist es noch nicht.«
»Wie lange kann es noch dauern?«
»Drei, vier Tage vielleicht. Sie mssen vorher einen Haufen anderer Orte abgrasen.«
»Und was haben wir davon - von dem Aufschub, meine ich?«
»Eine ganze Menge. Sie knnten den Wagen fortschaffen -falls er nicht vorher entdeckt wird, und wenn man bedenkt, wo er jetzt steht, haben Sie eine gute Chance.«
»Fortschaffen? Sie meinen, aus Louisiana?«
»Ich meine, aus dem Sden.«
»Das wre aber nicht einfach?«
»Nein, Gndigste, einfach nicht. Smtliche Staaten um uns herum - Texas, Arkansas, Mississippi, Alabama und die brigen
- werden die Augen nach einem Wagen mit beschdigtem Scheinwerfer offenhalten.«
Die Herzogin berlegte. »Wre es nicht mglich, ihn vorher reparierenzu lassen? Falls die Reparatur diskret durchgefhrt wrde, wren wir bereit, sie gut zu bezahlen.«
Der Hausdetektiv schttelte nachdenklich den Kopf. »Ausgeschlossen. Wenn Sie das versuchen, knnen Sie ebensogut gleich rber ins Prsidium gehen und sich stellen. Jede Reparaturwerkstatt in Louisiana wei, da sie die Polizei rufen mu, sobald ihr ein beschdigter Wagen unterkommt, der verdchtig ist. Und sie wrden's melden, verlassen Sie sich drauf. Ihr zwei seid ein heies Eisen.«
Die Herzogin von Croydon nahm sich fest an die Kandare. Ihre Gedanken rasten, aber sie wute, da es von hchster Wichtigkeit war, einen khlen Kopf zu bewahren. In den letzten Minuten hatte sich ein ungezwungener Ton in die Unterhaltung eingeschlichen, als ginge es um irgendein belangloses husliches Problem und nicht um Leben oder Tod. Sie beabsichtigte, den Plauderton beizubehalten. Wie schon sooft war ihr wieder die Fhrerrolle zugefallen, whrend ihr Mann bei der Auseinandersetzung mit dem bsen, fetten Menschen nur ein angsterfllter, aber passiver Zuschauer war. Gleichviel. Mit dem Unvermeidlichen mute man sich abfinden. Nun kam es vor allem darauf an, alle Mglichkeiten sorgsam in Betracht zu ziehen. Sie hatte eine Idee.
»Wie nennt man das Stck von unserem Wagen, das die Polizei gefunden hat?«
»Einen Scheinwerferring.«
»Ist es eine echte Spur?«
Ogilvie nickte. »Freilich. Sie knnen feststellen, von welcher Sorte Wagen es stammt - Fabrikat, Modell und vielleicht sogar das Baujahr. Das gleiche gilt fr die Glassplitter. Da es sich aber um einen auslndischen Wagen handelt, wird es vermutlich ein paar Tage dauern.«
»Aber dann wei die Polizei, da sie nach einem Jaguar suchen mu?«
»Tjah.«
Heute war Dienstag. Nach allem, was dieser Mann sagte, hatten sie eine Gnadenfrist bis Freitag oder hchstens Samstag. Mit berechneter Klte durchdachte die Herzogin das Problem: Gesetzt den Fall, der Hoteldetektiv liee sich kaufen, dann bestand ihre einzige - schwache - Chance darin, den Wagen so schnell wie mglich fortzuschaffen. Gelang es, ihn nach dem Norden zu bringen, in eine der Grostdte, wo man von der Tragdie in New Orleans und den Nachforschungen nichts wute, dann knnte man dort in aller Stille die ntigen Reparaturen durchfhren lassen und die belastenden Spuren beseitigen. Und sollte sich der Verdacht spter doch noch auf die Croydons richten, dann war ihnen wenigstens nichts mehr nachzuweisen. Fragte sich nur, wie man den Wagen hinausbefrdern sollte.
Zweifellos hatte ieser flegelhafte Mensch recht mit seiner Behauptung, da smtliche Nachbarstaaten von Louisiana in Alarmbereitschaft waren. Jede Verkehrsstreife wrde ein scharfes Auge auf Wagen mit beschdigtem Scheinwerfer haben. Vermutlich gab es auch Straensperren. Es wrde nicht einfach sein, den Kontrollen zu entgehen.
Aber vielleicht war es doch zu schaffen. Wenn man nur in der Nacht fuhr und den Wagen tagsber versteckte. Es gab gengend einsame Fleckchen zu beiden Seiten der Autostrae, wo man unbeobachtet war. Natrlich war es riskant, aber hierzubleiben, wo man sie hchstwahrscheinlich aufspren wrde, war genauso riskant. Sie wrden Seitenwege benutzen und eine Route whlen, auf der man sie nicht vermutete.
Man mute jedoch mit anderen Komplikationen rechnen. Es war schwierig, sich auf Nebenstraen zurechtzufinden, wenn man die Gegend nicht kannte. Die Croydons kannten sie nicht und verstanden sich auch nicht auf das Lesen von Landkarten. Wenn sie irgendwo tankten, was unvermeidlich war, wrde ihr Benehmen und ihre Sprache Aufsehen erregen und sie verraten. Und dennoch muten sie diese Gefahren auf sich nehmen.
Oder gab es vielleicht einen Ausweg?
Die Herzogin sah Ogilvie an. »Wieviel Geld verlangen Sie?«
Ihre abrupte Frage brachte ihn einen Moment lang aus dem Gleichgewicht. »Also... ich schtze, ihr Leute seid ziemlich gut betucht.«
»Ich habe gefragt, wieviel«, sagte sie kalt.
Die Schweinsuglein blinzelten. »Zehntausend Dollar.«
Sie verzog keine Miene, obwohl die Forderung doppelt so hoch war, als sie erwartet hatte. »Und wenn wir Ihnen diese groteske Summe zahlen, was bekommen wir als Gegenwert?«
Der fette Mann machte ein verdutztes Gesicht. »Das hab' ich Ihnen doch schon gesagt. Ich behalte das, was ich wei, fr mich.«
»Und was wre die Alternative?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich gehe runter in die Halle und telefoniere.«
»Nein! Wir zahlen nicht!« Ihr Ton lie keinen Zweifel daran, da sie es ernst meinte.
Whrend der Herzog beunruhigt von einem Fu auf den anderen trat, lief das knollige Gesicht des Hausdetektivs rot an. »Hren Sie, Lady -«
Sie fiel ihm herrisch ins Wort. »Ich hre nicht. Jetzt bin ich an der Reihe, und Sie hren mir zu. Mit den zehntausend Dollar wrden wir uns nur eine Frist von drei bis vier Tagen einhandeln, sonst nichts. Sie selbst haben uns das berdeutlich klargemacht.« Sie blickte ihn fest an; ihr schnes Gesicht mit den hohen Wangenknochen sah anmaender aus denn je.
»Immerhin haben Sie die Chance -«
»Schweigen Sie!« Ihre Stimme war wie ein Hieb mit der Peitsche, ihr Blick bohrte sich in den seinen. Er schluckte und gehorchte mrrisch.
Was nun kam, wrde vielleicht die wichtigste Tat in ihrem Leben sein, darber war sich die Herzogin im klaren. Es durfte keinen Migriff, kein Schwanken, kein kleinliches Feilschen geben. Wer um den hchsten Gewinn spielte, mute einen hohen Einsatz wagen. Sie wollte auf die Habgier des fetten Mannes spekulieren. Und sie mute so geschickt vorgehen, da ihr der Erfolg sicher war.
»Wir zahlen Ihnen nicht zehntausend Dollar, sondern fnfundzwanzigtausend«, erklrte sie entschieden.
Der Hoteldetektiv ri beide Augen auf.
»Dafr werden Sie unseren Wagen nach dem Norden schaffen«, fgte sie gelassen hinzu.
Ogilvie starrte sie weiter an.
»Fnfundzwanzigtausend Dollar«, wiederholte sie. »Zehntausend gleich, den Rest von fnfzehntausend sobald wir in Chikago zusammentreffen.«
Der fette Mann fuhr sich mit der Zunge ber die Lippen, ohne einen Ton von sich zu geben. Seine Schweinsuglein waren, als traute er seinen Sinnen nicht, auf das Gesicht der Herzogin gerichtet. Ein lastendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Dann, whrend sie ihn angespannt beobachtete, nickte er beinahe unmerklich.
Noch immer blieb es still. Endlich fragte Ogilvie: »Strt Sie die Zigarre, Herzogin?«
Als sie nickte, machte er sie aus.
12
»Es ist komisch.« Christine lie die liesengroe, in vielen Farben prangende Speisekarte sinken. »Aber ich werde in dieser Woche das Gefhl nicht los, da irgend etwas Folgenschweres passieren wird.«
Peter McDermott lchelte ihr ber den Tisch hinweg zu. Tafelsilber und das gestrkte weie Leinenzeug schimmerten im Kerzenlicht. »Vielleicht ist es schon passiert.«
»Nein«, sagte Christine. »Wenigstens nicht auf die Art, die Sie meinen. Es ist irgendwie beklemmend. Ich wollte, ich knnte es abschtteln.«
»Gut essen und trinken tut Wunder.«
Seine gate Laune wirkte ansteckend. Sie lachte und klappte die Speisekarte zu. »Schn, dann bestellen Sie fr uns beide.«
Sie waren in Brennan's Restaurant im Franzsischen Viertel. Vor einer Stunde hatte Peter Christine mit einem Wagen, den er am Schalter von Hertz in der Halle des St. Gregory gemietet hatte, in ihrer Wohnung abgeholt. Sie parkten in Iberville, an der Peripherie des Viertels, und schlenderten die Royal Street entlang, vorbei an den Schaufenstern der Antiquittenlden, in denen Kunstgegenstnde, importierter Kitsch und Waffen der Konfderierten - »jeder Sbel in dieser Kiste zehn Dollar« -bunt durcheinanderlagen. Es war eine warme, schwle Nacht, die erfllt war von den fr diese Stadt typischen Geruschen -dem sonoren Brummen der Busse in den engen Straen, dem Klappern und Rasseln der Droschken und dem wehmtigen Tuten eines ausfahrenden Frachters auf dem Mississippi.
Brennan's war, wie es sich fr das eleganteste Speiserestaurant von New Orkans gehrte, zur Dinnerzeit bis zum letzten Platz besetzt. Whrend sie auf ihren Tisch warteten, hatten Peter und Christine im stillen, schummrigen Patio einen nach Krutern duftenden Old Fashioned getrunken.
Peter fhlte sich in Christines Gesellschaft unendlich wohl, Seine Hochstimmung hielt an, als sie zu einem Tisch im Hauptrestaurant geleitet wurden. Nun winkte er einen Kellner heran.
Er bestellte fr sich und Christine die Spezialitt des Hauses, und zwar eine Zusammenstellung von Austern Rockefeller, Bienville und Roffignac, Flunder Nouvelle Orleans, gefllt mit Krabbenfleisch und Krutern, Blumenkohl Polonaise, pommes au four und eine Flasche Montrachet.
»Es ist angenehm, wenn man nicht selbst entscheiden mu«, sagte Christine anerkennend und beschlo, das beklemmende Gefhl, von dem sie gerade gesprochen hatte, einfach nicht mehr zu beachten. Es war wohl ohnehin nur Einbildung und erklrte sich vermutlich aus der Tatsache, da sie in der vergangenen Nacht wenig Schlaf gehabt hatte.
»Bei einer so ausgezeichneten Kche wie hier spielt es letztlich keine Rolle, wofr man sich entscheidet. Man hat hchstens die Qual der Wahl zwischen lauter exquisiten Gerichten.«
»Man merkt, da Sie sich in der Branche auskennen«, sagte sie neckend.
»Verzeihung. Ich frchte, ich rede andauernd davon.«
»Eigentlich nicht. Und wenn Sie's unbedingt wissen wollen, mir gefllt's. Ich hab' mich allerdings manchmal gefragt, wie Sie darauf gekommen sind, ins Hotelfach zu gehen.«
»Ins Hotelfach?« Ich war ein Boy mit Ambitionen.«
»War es wirklich so einfach?«
»Vermutlich nicht. Ich hatte auch ziemlich viel Glck. Ich wohnte in Brooklyn und arbeitete in den Schulferien als Boy in Manhattan. Eines Nachts, in meinem zweiten Sommer, brachte ich einen Betrunkenen ins Bett - half ihm die Treppe hinauf, zog ihn aus und deckte ihn zu.«
»Gehrte das zu Ihren Obliegenheiten?«
»Nein. Aber zufllig war es eine ruhige Nacht, und auerdem hatte ich ziemlich viel bung darin. Ich hatte zu Hause seit Jahren meinem alten Herrn denselben Gefallen erwiesen.« Seine Augen blickten einen Moment lang traurig drein. »Na, spter stellte sich dann heraus, da der Bursche, den ich ins Bett verfrachtet hatte, ein Mitarbeiter vom >New Yorker< war. Ein oder zwei Wochen danach schrieb er ber den Vorfall und nannte uns, glaube ich, >das Hotel, in dem man sich wie bei Muttern fhlt<. Wir wurden deswegen ganz schn gefoppt, aber fr das Hotel wr es eine gute Reklame.«
»Und Sie wurden daraufhin befrdert?«
»In gewisser Weise. Wichtiger war, man beachtete mich.«
»Da kommen die Austern.« Der Kellner stellte zwei vorgewrmte Teller mit den kstlich duftenden berbackenen Austern, die auf einer Unterlage von Steinsalz ruhten, vor sie hin.
Whrend Peter den Montrachet probierte und zustimmend nickte, sagte Christine: »Wieso kann man eigentlich in Louisiana das ganze Jahr ber Austern essen, egal, ob der Monat ein >R< hat oder nicht?«
»Man kann Austern berall und zu jeder Jahreszeit essen«, antwortete Peter nachdrcklich. »Die Idee von den Monaten mit und ohne >R< ist Schwindel und wurde vor vierhundert Jahren von einem alten englischen Landpfarrer in die Welt gesetzt. Ich glaube, der alte Knabe hie Butler. Wissenschaftler haben sich darber lustig gemacht, die amerikanische Regierung hlt sie fr albern, aber die Leute glauben immer noch daran.«
Christine kostete eine Auster Bienville. »Ich dachte immer, es kommt daher, weil sie im Sommer laichen.«
»Fr Austern in New England und New York trifft das in manchen Jahren zu, nicht aber fr die Chesapeake Bay, wo die ertragreichsten Austernbnke der Welt sind. Dort und im Sden laichen sie so ziemlich zu jeder Jahreszeit. Folglich gibt's keinen einzigen einleuchtenden Grund, warum Nordstaatler nicht auch das ganze Jahr ber Austern essen sollten, wie die Leute hier in Louisiana.«
Nach kurzem Schweigen sagte Christine: »Vergessen Sie denn nie, was sie mal gelernt haben?«
»Das meiste behalte ich, glaub' ich. Ich hab' ein komisches Gedchtnis, an dem die unmglichsten Dinge hngenbleiben -es ist ein bichen wie das Fliegenpapier, das man frher verwendete. In gewisser Hinsicht ist mir das zustatten gekommen.« Er spiete eine Auster Rockefeller auf und schnupperte genieerisch den zarten leicht bitteren Duft von Absinth ein.
»Inwiefern kam es Ihnen zustatten?«
»Also, im gleichen Sommer, in dem die Sache mit dem Mann vom >New Yorker< passierte, durfte ich mich im Hotel in allen mglichen Jobs versuchen, und so landete ich auch hinter der Bar. Inzwischen hatte ich Feuer gefangen und mir einige Fachbcher geliehen, unter anderem auch eins ber das Mixen von Drinks.« Peter hielt inne, in einem Winkel seines Gedchtnisses nach Ereignissen kramend, die er fast schon vergessen hatte. »Einmal war ich allein hinter der Bar, als ein Gast hereinkam. Ich kannte ihn nicht, aber er sagte: >Ich hab' gehrt, da Sie der helle Bursche sind, ber den der >New Yorker< geschrieben hat. Knnen Sie mir einen Rostigen Nagel mixen?«
»Er wollte Sie uzen?«
»Nein. Ich htte es sicher auch fr einen dummen Witz gehalten, wenn ich das Rezept nicht zufllig zwei Stunden frher gelesen htte. Das meine ich damit, wenn ich sage, ich htte Glck gehabt. Die Zutaten sind Scotch und Drambuie. Ich machte ihm also den Drink zurecht, und nach dem ersten Schluck sagte er: >In Ordnung, aber auf die Art werden Sie im Hotelfach nichts lernen. Die Dinge haben sich gendert seit >Work of Art.< Ich antwortete ihm, ich hielte mich nicht fr Myron Weagle, htte aber nichts dagegen, Evelyn Orcham zu sein. Er lachte darber; vermutlich hatte er auch Arnold Bennett gelesen. Dann gab er mir seine Visitenkarte und sagte, ich sollte ihn am nchsten Tag aufsuchen.«
»Ich nehme an, er besa mindestens fnfzig Hotels.«
Peter schttelte den Kopf. »Tatschlich besa er gar nichts. Er hie Herb Fischer und war Handlungsreisender - Konserven und dergleichen. Er war auerdem ein Wichtigtuer und Schwtzer und schrecklich aufdringlich. Aber er kannte das Hotelgeschft und die meisten Leute, die damit zu tun hatten, weil er da seine Waren absetzte.«
Die Teller mit den Austernschalen wurden weggenommen. Der Kellner servierte ihnen nun, unter den wachsamen Blicken eines Oberkellners in rotem Frack, die dampfende Flunder.
»Das riecht so gut, da ich fast Angst hab', davon zu essen«, sagte Christine. »Es kann unmglich so gut schmecken, wie es riecht.« Sie probierte den saftigen, hervorragend gewrzten Fisch. »Mmmm! Nicht zu glauben, aber es schmeckt sogar noch besser.«
Nach einer Weile sagte sie: »Erzhlen Sie mir von Mr. Fischer.«
»Zuerst hielt ich ihn fr einen Angeber, wie man ihn in Bars zu Hunderten begegnet. Ein Brief aus Cornell brachte mir eine andere Meinung ber ihn bei. Ich sollte mich in Statler Hall -der Hotelfachschule - zur Aufnahmeprfung melden. Es kam dann schlielich so, da sie mir ein Stipendium anboten und da ich von der Oberschule dahin berwechselte. Spter fand ich heraus, da Herb ein paar Hotelleute dazu berredet hatte, meine Aufnahme zu befrworten. Er war ein guter Vertreter, glaube ich.«
»Sie glauben es nur?«
»Ich war mir nie ganz sicher«, erwiderte Peter versonnen. »Ich verdanke Herb Fischer eine Menge, aber manchmal fragte ich mich, ob die Leute nicht nur deshalb soviel fr ihn taten und Geschfte mit ihm machten, weil sie ihn loswerden wollten. Er ging einem entsetzlich auf die Nerven. Ich sah ihn nur noch ein einziges Mal, nachdem die Sache mit Cornell geklappt hatte. Ich wollte mich bei ihm bedanken und gab mir alle Mhe, ihn gern zu haben. Aber er lie beides nicht zu - warf nur mit groen Worten um sich und prahlte mit den Abschlssen, die er gemacht hatte oder machen wollte. Dann sagte er, fr das College brauchte ich ein paar anstndige Anzge, was stimmte, und drngte mir frmlich zweihundert Dollar als Darlehen auf. Fr ihn mu das ein Haufen Geld gewesen sein, denn ich erfuhr spter, da es mit seinen Kommissionen nicht weit her war. Ich zahlte ihm das Geld in Raten zurck, aber meistens lste er meine Schecks gar nicht ein.«
»Das Ganze klingt wie ein Mrchen.« Christine hatte gespannt zugehrt. »Warum besuchen Sie ihn nicht mehr?«
»Er ist tot. Ich verabredete mich noch ein paarmal mit ihm, aber irgendwie schafften wir es beide nicht. Dann, vor ungefhr einem Jahr, rief mich sein Anwalt an - Herb hatte offenbar keine Familie. Ich ging zum Begrbnis. Und dort entdeckte ich dann, da es acht von uns gab - allen hatte er auf die gleiche Art geholfen wie mir. Das Merkwrdige daran war, da er, trotz seiner Prahlerei, keinem von uns von den anderen sieben erzhlt hatte.«
»Ich knnte heulen.«
Er nickte. »Ich wei. Genauso war mir damals zumute. Die Geschichte hat sicher irgendeine Moral, nur bin ich nie dahintergekommen, welche. Vielleicht knnte man sagen, da manche Menschen eine groe feste Schranke aufrichten und sich dabei glhend wnschen, da jemand sie niederreit, und wenn man das nicht tut, lernt man sie niemals richtig kennen.«
Whrend des Kaffees schwieg sich Christine aus; sie hatten beide auf den Nachtisch verzichtet. Schlielich fragte sie: »Wissen wir denn wirklich, was wir uns wnschen?«
Peter berlegte. »Nur zum Teil, nehme ich an. Aber ich kenne etwas, das ich haben mchte - das oder wenigstens etwas Gleichartiges.« Er lie sich die Rechnung bringen.
»Sagen Sie's mir.«
»Ich hab' eine bessere Idee: ich zeig's Ihnen.«
Drauen vor dem Restaurant blieben sie stehen, um sich nach der Khle im Inneren an die warme Nachtluft zu gewhnen. In der Stadt war nicht mehr so viel Betrieb wie noch vor einer Stunde. Einige Lichter in ihrer Umgebung erlschten; das nchtliche Treiben im Viertel versickerte in andere Bezirke. Peter fate Christine unter und fhrte sie schrg ber die Royal Street. An der Sdwestecke von St. Louis machten sie halt und wandten den Blick geradeaus. »So etwas wrde ich gern aufbauen«, sagte er. »Etwas ebenso Gutes oder vielleicht noch Besseres.«
Unter anmutig geschwungenen schmiedeeisernen Balkons und geriffelten Sulen warfen flackernde Gaslaternen Licht und Schatten auf die weigraue klassische Fassade des Royal-Orleans-Hotels. Durch gebogene, lngsgeteilte Fenster fiel ambrafarbenes Licht nach drauen. Auf dem breiten Gehsteig spazierte ein Trhter in reichbetreter Uniform auf und ab, auf dem Kopf eine pillenschachtelfrmige Mtze. Hoch oben knatterten ahnen in einer pltzlich aufkommenden Brise an ihren Masten. Ein Taxi fuhr vor. Der Trhter trat rasch heran, um die Wagentr zu ffnen. Hohe Abstze klickten, Gelchter klang auf, und das Paar verschwand im Hotel. Eine Tr knallte zu. Das Taxi fuhr ab.
»Ein paar Leute halten das Royal Orleans fr das beste Hotel in Nordamerika«, sagte Peter. »Ob man dem beipflichtet oder nicht, spielt keine Rolle. Der springende Punkt ist: es beweist, wie gut ein Hotel sein kann.«
Sie berquerten St. Louis und gingen auf das Gebude zu, das frher einmal Hotel und Zentrum der kreolischen Gesellschaft gewesen war, dann Sklavenmarkt, Hospital im Brgerkrieg, Sitz der Regierung und nun wieder Hotel. Peters Stimme klang immer begeisterter. »Es hat alles, was ein gutes Hotel haben mu - Geschichte, Stil, moderne technische Anlagen und Fantasie. Mit der Ausstattung hat man zwei hiesige Architekten beauftragt - einen traditionsbewuten und einen modernen. Die zwei haben bewiesen, da man erneuern und trotzdem den alten Charakter bewahren kann.«
Der Trhter blieb stehen und hielt ihnen die Tr auf. Geradeaus bewachten zwei riesige Negerstatuen eine weie Marmortreppe, die zur Galerie ber der Halle hinauffhrte. »Das Komische dabei st«, bemerkte Peter, »da das Royal Orleans bei all seiner Individualitt zu einem Hotelkonzern gehrt.« Er fgte gepret hinzu: »Allerdings nicht von der Art, die Curtis O'Keefe vertritt.«
»Mehr nach der Art Peter McDermotts, nicht wahr?«
»Bis dahin ist's noch ein weiter Weg. Und ich bin schon mal gestolpert. Ich nehme an, Sie wissen darber Bescheid.«
»Ja, ich wei. Aber Sie werden's trotzdem schaffen. Ich wette tausend Dollar, da Sie's schaffen.«
Er drckte ihren Arm. »Wenn Sie so viel Geld haben, sollten Sie sich lieber Aktien des O'Keefe-Konzerns kaufen.«
Sie schlenderten durch die Halle des Royal Orleans - weier Marmor und antike Tapisserien in Wei, Zitronengelb und Beige - und verlieen sie durch den Ausgang zur Royal Street.
Anderthalb Stunden lang bummelten sie durch das Viertel, machten in der Preservation Hall halt, ertrugen die erstickende Hitze und das Menschengewimmel auf den berfllten Bnken, um sich den echten Dixieland anzuhren; sie verweilten auf dem Jackson Square, wo es verhltnismig khl war, tranken Kaffee auf dem Franzsischen Markt am Fluufer und bten Kritik an den schlechten »Kunstwerken«, mit denen New Orleans berschwemmt wurde; spter tranken sie unter einem bestirnten Himmel, gefiederten Bumen, gedmpftem Licht im Hof der zwei Schwestern einen Mint Julep.
»Es war wundervoll«, sagte Christine. »Gehen wir?«
Als sie gemchlich nach Iberville und zu ihrem geparkten Wagen zurckgingen, sprach sie ein kleiner Negerjunge an, der einen Pappkarton mit Brsten trug.
»Schuheputzen, Mister?«
Peter schttelte den Kopf. »Zu spt, mein Sohn.«
Der blitzugige Junge rhrte sich nicht vom Fleck und betrachtete Peters Fe. »Ich wette mit Ihnen um fnfundzwanzig Cents, da ich wei, was Sie unter den Schuhen haben. Wenn ich richtig rate, krieg' ich das Geld von Ihnen, wenn ich falsch rate, kriegen Sie's von mir. Okay?«
Peter hatte die Schuhe vor einem Jahr in Tenafly, New Jersey, gekauft. Er zgerte, im Gefhl, da die Chancen zu ungleich verteilt waren, und nickte dann. »Okay.«
Der Junge blickte mit einem breiten Grinsen auf. »Unter Ihren Schuhen haben Sie das Pflaster von New Orleans, Louisiana, Mister. Wir haben blo darum gewettet, da ich wei, was Sie unter Ihren Schuhen haben und nicht, wo Sie sie herhaben, stimmt's?«
Christine hngte sich bei Peter ein, als er den Vierteldollar bezahlte. Sie lachten, bis sie bei ihrem Wagen anlangten, und lachten immer noch, als sie zu Christines Appartement fuhren.
13
Im Speisezimmer von Warren Trents Privatsuite paffte Curtis O'Keefe genieerisch eine Zigarre. Er hatte sie sorglich unter mehreren ausgewhlt, die Aloysius Royce ihm in einem Kirschholzkstchen gereicht hatte. Ihr Aroma verquickte sich auf seinem Gaumen mit dem Nachgeschmack des Louis-XIII.-Cognac, der zum Kaffee serviert worden war.
Links von O'Keefe, an der Schmalseite des Eichentisches, an dem sie das delikate aus fnf Gngen bestehende Dinner eingenommen hatten, prsidierte Warren Trent mit patriarchalischer Herzlichkeit: Ihm gegenber rauchte Dodo, in einem hautengen schwarzen Abendkleid, eine Orientzigarette, die Royce ihr offeriert und angezndet hatte.
»Herrje«, sagte Dodo, »ich komm' mir vor wie genudelt.«
O'Keefe lchelte nachsichtig. »Das Essen war hervorragend, Warren. bermitteln Sie bitte dem Kchenchef mein Kompliment.«
Der Besitzer des St. Gregory neigte artig den Kopf. »Er wird sich ber das Lob freuen, vor allem, wenn er hrt, von wem es kommt. Es wird Sie brigens vielleicht interessieren, da es heute abend in meinem Hauptrestaurant genau das gleiche Menu gab.«
Curtis O'Keefe nickte, aber er war nicht beeindruckt. Seiner Meinung nach war ein umfangreiches, ausgetfteltes Menu in einem Hotelrestaurant ebensowenig am Platze wie Gnseleberpastete in einem Lunchkorb. Kam noch hinzu, da er vorhin, zur Hauptessenszeit, einen Blick ins Restaurant des St. Gregory geworfen und festgestellt hatte, da der weite gewlbte Saal nur zu einem Drittel besetzt war.
Im O'Keefe-Imperium war das Dinner standardisiert und umfate eine beschrnkte Auswahl einfacher populrer Gerichte. Hinter dieser Geschftstaktik stand Curtis O'Keefes berzeugung, da das Publikum erfahrungsgem beim Essen auf Abwechslung keinen Wert legte und hchst phantasielos war. In den Hotels des O'Keefe-Konzerns kamen Feinschmecker, obwohl die Speisen sorgfltig zubereitet und mit antiseptischer Reinlichkeit serviert wurden, nicht auf ihre Kosten; man betrachtete sie als eine berflssige, unrentable Minoritt.
»Es gibt heutzutage nicht mehr viele Hotels, die eine solche Kche fhren«, bemerkte der Hotelmagnat. »Die meisten, die sie hatten, muten sich den vernderten Verhltnissen anpassen.«
»Die meisten, aber nicht alle. Nicht jeder ist so fgsam, und warum sollte er auch?«
»Weil unser Geschft eine Wandlung durchgemacht hat, Warren, das ist eine feststehende Tatsache, ob sie uns nun gefllt oder nicht. Die Zeiten individueller Gastlichkeit und Bedienung sind vorbei. Mglich, da die Leute frher fr solche Dinge was brig hatten. Jetzt haben sie andere Bedrfnisse.«
Die Direktheit, mit der beide Mnner sich uerten, schien anzudeuten, da mit beendeter Mahlzeit auch der Austausch hflicher Phrasen ein Ende hatte. Dodo blickte mit ihren babyblauen Augen neugierig von einem zum anderen wie ein Zuschauer, der irgendeine fast unverstndliche Szene auf der Bhne verfolgt. Aloysius Royce hantierte, dem Trio den Rcken zuwendend, an einem Seitentisch.
»Bei manchen wrden Sie mit Ihrer Ansicht auf Widerspruch stoen«, sagte Warren Trent scharf.
O'Keefe betrachtete das glhende Ende seiner Zigarre. »Fr alle, die mir nicht beipflichten, habe ich nur eine Antwort: meine Bilanz im Vergleich zu der anderer Hotels -beispielsweise der des St. Gregory.«
Trent errtete und prete die Lippen zusammmen. »Beim St.
Gregory handelt es sich um eine temporre Krise. Es ist nicht die erste, und sie wird vorbergehen wie alle anderen davor.«
»Nein. Wenn Sie das glauben, drehen Sie sich selbst den Strick. Und Sie haben sich etwas Besseres verdient, Warren -nach all den Jahren.«
Nach einer mrrischen Pause knurrte Trent: »Ich habe nicht mein ganzes Leben daran gewendet, ein erstklassiges Hotel aufzubauen, nur um mit anzusehen, wie es zu einem billigen Massenquartier absinkt.«
»Falls Sie meine Hotels damit meinen, so ist keins von ihnen ein billiges Massenquartier.« Nun lief O'Keefe vor rger rot an »Und ich bin mir gar nicht so sicher, ob das St. Gregory ein erstklassiges Haus ist.«
Das lastende feindselige Schweigen wurde von Dodo unterbrochen. »Wird das eine richtige Rauferei oder blo eine mit Worten?« fragte sie.
Die zwei Mnner achten, Warren Trent allerdings ein wenig gezwungen. Curtis O'Keefe hob beschwichtigend beide Hnde.
»Sie hat recht, Warren. Ein Streit zwischen uns ist sinnlos. Auch wenn wir weiterhin getrennte Wege gehen, knnen wir doch wenigstens Freunde bleiben.«
Warren Trent nickte, halb besnftigt. Schuld an seinem scharfen Ausfall war zum Teil sein Ischiasnerv, der ihn eben ganz besonders arg gezwickt hatte; der Schmerz war aber wieder abgeklungen. Als ob es nicht auch ohnedies schwer genug wre, dachte er erbittert, sich nicht ber diesen aalglatten, siegesbewuten Mann zu erbosen, dessen finanzielle Erfolge von den seinen so sehr abstachen.
»Das, was das Publikum heutzutage von einem Hotel erwartet, lt sich in drei Worten zusammenfassen«, erklrte Curtis O'Keefe. »Ein leistungsfhiges, wirtschaftliches Programm. Wir knnen es aber nur liefern, wenn wir smtliche Leistungen - unsere eigenen und die unserer Gste - genau kalkulieren; dazu gehrt ein rationeller Betrieb und vor allem ein Minimum an Gehltern, und das wiederum bedeutet Automation und Verzicht auf Personal und Gastlichkeit im alten Stil, wo immer es mglich ist.«
»Und das ist alles? Sie wollen auf alles verzichten, was man frher von einem guten Hotel zu erwarten pflegte? Sie wollen leugnen, da ein guter Hotelier jedem Haus seinen persnlichen Stempel aufdrcken kann?« Der Besitzer des St. Gregory schnaubte verchtlich. »Ein Besucher Ihrer Sorte Hotel hat nicht das Gefhl, dazu zu gehren, eine wichtige Persnlichkeit zu sein, der man ein bichen mehr gibt - an Wrme und Gastlichkeit -, als die Rechnung spter aufzeigt.«
»Das ist eine Illusion, die er nicht braucht«, sagte O'Keefe bissig. »Ein Hotel gewhrt Gastlichkeit, weil es dafr bezahlt wird, das ist alles. Heute durchschauen die Leute Unaufrichtigkeit und Gefhlsduselei. Aber sie respektieren Fairness - einen fairen Profit fr das Hotel; einen fairen Preis fr den Gast, und genau das gebe ich ihnen. Oh, ich leugne durchaus nicht, da es stets ein paar Tusculums fr solche Gste geben wird, die auf individuelle Bedienung Wert legen und bereit sind, sich das was kosten zu lassen. Aber dabei handelt es sich um kleine Hotels fr einige wenige Auenseiter. Groe Huser, wie Ihres, mssen sich - wenn sie die Konkurrenz, die ich ihnen mache, berleben wollen - zu meiner Anschauung bekehren.«
»Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich noch eine Weile unbekehrt bleibe«, sagte Warren Trent trocken.
O'Keefe schttelte ungeduldig den Kopf. »Es war nichts Persnliches in dem, was ich sagte. Ich sprach von der Entwicklung im allgemeinen.«
»Zum Teufel damit! Mein Instinkt sagt mir, da sehr viele Menschen noch immer gern erster Klasse fahren und sich ein bichen mehr davon versprechen als eine Box mit einem Bett drin.«
»Der Vergleich hinkt.« O'Keefe lchelte khl. »Aber ich will ihn trotzdem anfechten. Auer fr einige wenige ist die erste Klasse erledigt, tot.«
»Warum?«
»Weil der Dsenverkehr den Erster-Klasse-Reisen und zugleich damit einer bestimmten Geisteshaltung den Garaus gemacht hat. Davor war die erste Klasse von einer Aura der Vornehmheit umgeben. Aber der Dsenverkehr hat den Leuten bewiesen, wie albern und verschwenderisch die alten Einrichtungen gewesen waren. Die Flugverbindungen wurden immer besser und schneller, so da sich die erste Klasse einfach nicht mehr lohnte. Folglich zwngten sich die Leute in die Touristenklasse und hrten auf, sich ber Rangunterschiede den Kopf zu zerbrechen - der Preis war zu hoch. Ziemlich bald wurde die Touristenklasse sogar ausgesprochen gesellschaftsfhig. Die feinsten Leute benutzten sie und erzhlten einander ber ihren Lunchkartons, die erste Klasse wre nur noch etwas fr Narren und Verschwender. Die Leute wissen ganz genau, was ihnen der Dsenverkehr liefert, nmlich ein leistungsfhiges, wirtschaftliches Programm. Und das gleiche fordern sie auch vom Hotelgeschft.«
Dodo suchte vergebens ein Ghnen hinter der Hand zu verbergen und drckte dann ihre Zigarette aus. Sofort stand Aloysius Royce neben ihr, bot ihr eine neue an und reichte ihr ein brennendes Streichholz. Sie lchelte warm, und der junge Neger lchelte zurck; es war ein Lcheln, das diskret sein Mitgefhl zum Ausdruck brachte. Gewandt und unauffllig ersetzte er die gebrauchten Aschenbecher auf dem Tisch durch neue, schenkte Dodo und danach den beiden Mnnern Kaffee nach und schlpfte leise hinaus. »Sie haben da einen guten Mann, Warren«, bemerkte O'Keefe.
»Er ist schon sehr lange bei mir«, erwiderte Warren Trent zerstreut. Auch er hatte Royce beobachtet und sich dabei gefragt, wie sein Vater auf die Nachricht, da die Leitung des Hotels demnchst in andere Hnde bergehen wrde, reagiert htte. Vermutlich mit einem Schulterzucken. Geld und Gut hatten dem kleinen alten Mann wenig bedeutet. Warren Trent konnte ihn fast mit seiner rauhen lebhaften Stimme sagen hren: Sie haben so lange Ihren Kopf durchgesetzt, da ein paar schlechte Jahre vielleicht nur zu Ihrem Besten sind. Gott beugt unseren Rcken und demtigt unseren hochfahrenden Sinn, damit wir nicht vergessen, da wir trotz unserer gromchtigen Ideen nur seine ungeratenen Kinder sind. Und dann htte der alte Mann vielleicht in bewuter Inkonsequenz hinzugefgt: Aber wenn man an etwas glaubt, mu man dafr kmpfen. Wer tot ist, erschiet niemanden mehr, denn er kann nicht mehr zielen.
Die Mahnung seines alten Freundes beherzigend, kmpfte Warren Trent weiter. »Wenn man Ihnen zuhrt, bekommt alles, was mit einem Hotel zu tun hat, einen verdammt antiseptischen Beigeschmack. Ihren Hotels fehlt Wrme und Menschlichkeit. Sie sind fr Automaten mit Lochkartenhirn und Schmierl statt Blut.«
O'Keefe hob die Schultern. »Sie werfen Dividenden ab.«
»Finanziell mgen sie ein Erfolg sein, in menschlicher Beziehung betrachte ich sie als ein Unglck.«
Die letzte Bemerkung ignorierend, sagte O'Keefe: »Bisher war nur vom derzeitigen Stand unseres Geschfts die Rede. Gehen wir noch einen Schritt weiter. Ich habe von meiner Organisation einen Entwurf fr die Zukunft ausarbeiten lassen. Vermutlich wrden manche es als Vision bezeichnen, obwohl es viel mehr eine wohlberlegte Projektion dessen ist, wie Hotels -wenigstens die des O'Keefe-Konzerns - in einigen Jahren beschaffen sein werden.
Als erstes wird der Empfang vereinfacht; die Formalitten drfen hchstens ein paar Sekunden in Anspruch nehmen. Die Mehrzahl unserer Gste wird direkt vom Flughafen in einem Hubschrauber ins Hotel befrdert, so da sich ein Empfangsschalter auf dem Dach direkt neben dem Landeplatz befindet. Andere Empfangsschalter befinden sich im Souterrain; dort werden die motorisierten Gste abgefertigt; sie knnen mit dem Wagen direkt hineinfahren, so da der heute bliche Umweg ber die Halle wegfllt. An allen diesen Punkten gibt es von einem Elektronengehirn gesteuerte Verteileranlagen; nebenbei bemerkt wurden diese Gerte von IBM bereits entwickelt.
Gste, die ihr Zimmer im voraus bestellen, bekommen einen programmierten Schlssel zugeschickt. Sie stecken ihn in einen Schlitz und werden sofort von einer in Streckenabschnitte geteilten >denkenden< Rolltreppe zu einem Zimmer befrdert, das mglicherweise eben erst gerumt wurde. Sollte es noch nicht fertig sein - und auch das wird vorkommen«, gab O'Keefe zu, »genau wie heute -, dann haben wir kleine transportable Zwischenstationen. Das sind Kabinen mit zwei Sthlen, einem Waschbecken und Abstellplatz fr das Gepck, gerade gro genug, um sich nach einer Reise aufzufrischen und fr sich allein zu sein. Man kann sie betreten und verlassen wie ein regulres Zimmer, und meine Ingenieure arbeiten gegenwrtig an einem Schema, nach dem die Zwischenstationen so beweglich werden, da sie sich spter selbstttig vor dem angewiesenen Zimmer einklinken. Der Gast braucht dann nur noch eine IBM-gesteuerte Tr zu ffnen und aus der Kabine in sein Zimmer zu treten.
Fr alle, die im eigenen Wagen eintreffen, wird es gleichartige Einrichtungen geben, mit programmierten Lichtsignalen, die sie zu ihre eigenen Wagenbox dirigieren, von wo sie dann auf anderen >denkenden< Rolltreppen in ihre Zimmer gebracht werden. Wir werden auch die Gepckabfertigung abkrzen durch Verwendung von Sortiermaschinen und Frderwerken; die Gepckstcke werden so schnell in die einzelnen Zimmer geschleust, da sie praktisch vor den Gsten dort eintreffen.
Ebenso wird der gesamte Service durch ein vollautomatisiertes Zustellsystem vereinfacht - Zimmerkellner, Getrnke, Speisen, Blumenhndler, Drugstore, Zeitungsstand; sogar die Rechnung kann auf diesem Wege in Empfang genommen und bezahlt werden. Und nebenbei, ganz abgesehen von anderen Vergnstigungen, fllt damit auch der Trinkgeldzwang weg, eine Tyrannei, die wir - und unsere Gste
- schon viel zu lange erduldet haben.«
Schweigen senkte sich auf den getfelten Speiseraum herab, als sich der Hotelmagnat mit einem Schluck Kaffee strkte, bevor er wieder das Wort ergriff.