Îòåëü / Hotel Õåéëè Àðòóð
13
Peter McDermott entnahm seinem Kleiderschrank eine dunkelblaue Schiarapelli-Krawatte und knpfte sie gedankenvoll. Er befand sich in seinem kleinen, in der Stadtmitte gelegenen Appartement, unweit vom Hotel, das er vor einer Stunde verlassen hatte. In zwanzig Minuten wurde er bei Marsha Preyscotts Dinnergesellschaft erwartet. Er fragte sich, wer die anderen Gste wohl sein mochten. Vermutlich wrden auer Marshas Freunden, die - hoffentlich - ein anderes Kaliber hatten als das Dixon-Dumaire-Quartett, auch einige ltere Leute eingeladen sein, um seine Anwesenheit zu begrnden.
Nun, da der Zeitpunkt immer nher rckte, ertappte er sich dabei, da er die Verpflichtung verwnschte. Viel lieber wre er frei gewesen, um sich mit Christine zu treffen. Es verlangte ihn danach, Christine vor dem Weggehen anzurufen, aber er fand, da es taktvoller wre, damit bis zum kommenden Morgen zu warten.
Er hatte an diesem Abend das beunruhigende Gefhl, zwischen Vergangenheit und Zukunft in der Luft zu hngen. So vieles, was ihn nahe anging, war dunkel, weil die Entscheidung aufgeschoben werden mute, bis das endgltige Ergebnis vorlag. Da war das Problem des St. Gregory. Wrde Curtis O'Keefe die Kontrolle bernehmen? Wenn ja, dann erschienen andere Affren im Vergleich dazu unbedeutend - sogar der Zahnrztekongre, dessen Vorstand noch immer darber beriet, ob sie das St. Gregory im Protestmarsch verlassen sollten oder nicht. Vor einer Stunde war die von Dr. Ingram, dem hitzigen Prsidenten, einberufene Sondersitzung noch im Gang gewesen, und nach Ansicht des Oberkellners, dessen Untergebene im Sitzungssaal fr den Nachschub an Eis und Mixgetrnken sorgten, sah es so aus, als wrde sie sich noch ziemlich lange hinziehen. Obwohl Peter sich bei seinen Erkundigungen auf die Frage beschrnkte, ob irgendwelche Anzeichen auf den Abbruch der Debatte hindeuteten, informierte ihn der Oberkellner, da die Auseinandersetzung allem Anschein nach ziemlich strmisch sei. Vor Verlassen des Hotels beauftragte Peter den stellvertretenden Manager, ihn sofort anzurufen, wenn irgendein Beschlu der Zahnrzte bekannt wrde. Bisher hatte er nichts gehrt. Er fragte sich nun, ob Dr. Ingrams freimtiger Standpunkt die Oberhand gewinne oder ob Warren Trents zynische Voraussage, da nichts geschehen wrde, sich bewahrheiten wrde.
Die gleiche Unsicherheit hatte Peter veranlat, alle Vergeltungsmanahmen gegen Herbie Chandler bis zum nchsten Morgen zu verschieben. Er wute, da er den anrchigen Chefportier eigentlich auf der Stelle hinauswerfen mte, was der Suberung des Hotels von einem unreinen Geist gleichkam. Natrlich wrde man Chandler nicht kndigen, weil er einen Callgirl-Ring geleitet hatte - denn wenn Chandler nicht gewesen wre, htte jemand anderer ihn organisiert -, sondern weil seine Habgier ihn verleitet hatte, sich ber die Vernunft hinwegzusetzten.
Nach Chandlers Verschwinden konnte man gegen eine ganze Reihe anderer bergriffe vorgehen. Allerdings blieb die Frage offen, ob Warren Trent solch einer summarischen Aktion beistimmen wrde. Aber im Gedanken an das angehufte Beweismaterial und Warren Trents Sorge um den guten Ruf des Hotels neigte Peter zu der berzeugung, da Trent nichts dagegen haben drfte.
In jedem Fall, sagte sich Peter, mute er sich vergewissern, da die schriftliche Erklrung der Gruppe Dixon-Dumaire sicher verwahrt und nur innerhalb des Hotels benutzt wurde. Auch seine Drohung, Mark Preyscott ber den Vergewaltigungsversuch an seiner Tochter zu informieren, war nur Bluff gewesen. Er hatte Marshas Bitte - Mein Vater ist in Rom. Er darf es niemals erfahren - nicht vergessen.
Der Gedanke an Marsha mahnte ihn zur Eile. Einige Minuten spter verlie er das Appartement und winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran.
»Ist das hier das Haus?« fragte Peter. »Freilich.« Der Taxifahrer musterte seinen Fahrgast prfend. »Es sei denn, Sie haben die Adresse nicht richtig mitgekriegt.«
»Nein, ich habe mich nicht geirrt.« Peter starrte zu der groen Villa mit der weien Fassade hinber. Schon die Fassade allein war atemberaubend. Hinter einer Taxushecke und hochragenden Magnolienbumen erhoben sich anmutig geriffelte Sulen von einer Terrasse bis zu einer von einem Gelnder umgebenen Galerie und weiter hinauf bis zu einem gewaltigen, nach antikem Vorbild gestalteten Giebel. Zu beiden Seiten des Haupttrakts schlossen sich Gebudeflgel an, bei denen sich die Bauelemente im kleinen wiederholten. Die gesamte Fassade war vorzglich instand gehalten mit gepflegtem Holzwerk und frischem Anstrich. Um das Haus hing der se Duft von Olivenblten in der Abendluft.
Nachdem er den Taxifahrer bezahlt hatte, ging Peter auf ein schmiedeeisernes Tor zu, das sich lautlos ffnete. Ein mit alten rtlichen Ziegeln gepflasterter Pfad schlngelte sich zwischen Rasenflchen und Bumen dahin. Obwohl es gerade erst dmmerte, waren die zwei hohen Laternen neben dem Pfad kurz vor dem Haus bereits angezndet. Er hatte die Stufe der Terrasse erreicht, als ein Riegel krftig klickte und die Flgel der Haustr sich weit ffneten. Auf der Schwelle stand Marsha. Sie wartete, bis er oben angelangt war, und ging ihm dann entgegen.
Sie war in Wei - ein knappes, eng anliegendes Kleid, zu dem ihr rabenschwarzes Haar einen beinahe bestrzenden Kontrast bildete. Mehr denn je war er sich ihres aufreizenden kindlichfraulichen Wesens bewut.
Marsha sagte frhlich: »Willkommen!«
»Danke.« Er machte eine umfassende Handbewegung. »Im Moment bin ich noch ein bichen berwltigt.«
»So geht's allen.« Sie hngte sich bei ihm ein. »Wir wollen die offizielle Besichtigungstour machen, bevor es zu dunkel wird.«
Sie stiegen die Terrassenstufen hinunter und schritten quer ber den Rasen, der sich unter den Fen wie ein weiches Polster anfhlte. Marsha hielt sich dicht an seiner Seite. Durch den Rockrmel hindurch konnte er ihr warmes festes Fleisch spren. Mit den Fingerspitzen berhrte sie leicht sein Handgelenk. Auer dem Duft der Olivenblten lag nun noch ein anderer zarter Wohlgeruch in der Luft.
»Hier!« Marsha schwenkte unvermittelt herum. »Von hier aus sehen Sie alles am besten. Von hier aus werden immer Fotos gemacht.«
Von dieser Seite des Risens aus war der Anblick sogar noch eindrucksvoller.
»Ein vergngungsschtiger franzsischer Adliger hat das Haus gebaut«, sagte Marsha. »Um 1840 herum. Er hatte eine Vorliebe fr klassizistische Architektur und glcklich lachende Sklaven und wollte auerdem seine Mtresse in Reichweite haben; daher der Extraflgel. Den anderen Flgel lie mein Vater anbauen. Bei ihm soll immer alles ausgewogen sein -Menschen, Konten und Huser.«
»Ist das der neue Fremdenfhrerstil - Philosophie plus Tatsachen?«
»Oh, ich bin randvoll mit beidem. Sie wnschen Tatsachen? -Schauen Sie sich das Dach an.« Beider Augen schweiften nach oben. »Wie Sie sehen, ragte es ber die obere Galerie hinaus. Das ist typisch fr den Klassizismus von Louisiana - die meisten alten Huser hier sind so gebaut, und das ist auch ganz einleuchtend, weil sie auf die Art Schatten und Luft hatten. Die Galerie war der Lieblingsaufenthalt der Hausbewohner, der Mittelpunkt des Familienlebens, wo man sich die Zeit mit Plaudern und allen mglichen Beschftigungen vertrieb.«
Er zitierte: »Haushalt und Familie, Teilhabe am guten Leben in ener Form, die zugleich vollkommen und selbstgengsam ist.«
»Wer hat das gesagt?«
»Aristoteles.«
Marsha nickte. »Er htte das mit den Galerien verstanden.« Sie hielt inne und berlegte. »Mein Vater hat eine Menge restaurieren lassen. Das Haus ist jetzt besser, aber nicht der Gebrauch, den wir von ihm machen.«
»Sie mssen dies alles sehr lieben.«
»Ich hasse es«, sagte Marsha. »Ich habe das Haus gehat, solange ich denken kann.«
Er blickte sie forschend an.
»Oh, ich wrde es nicht hassen, wenn ich blo zur Besichtigung hier wre - als Besucher unter vielen, die fnfzig Cent bezahlen, damit man sie herumfhrt, wie wir's zur Frhlingsfiesta immer machen. Dann wrde ich's bewundern, weil ich alte Dinge liebe. Aber es ist grlich immer darin zu wohnen, zumal allein und nach Einbruch der Dunkelheit.«
»Es wird dunkel«, sagte er mahnend.
»Ich wei. Aber Sie sind da, und das ist was anderes.«
Gemchlich schlenderten sie ber den Rasen aufs Haus zu. Zum erstenmal fiel ihm auf, wie still es war.
»Werden Ihre anderen Gste Sie nicht vermissen?«
Sie streifte ihn mit einem mutwilligen Blick. »Welche anderen Gste?«
»Sagten Sie nicht... «
»Ich sagte, ich wrde eine Dinnerparty geben, und das tu ich auch. Fr Sie. Falls Sie sich wegen einer Anstandsdame Sorgen machen, so ist ja immer noch Anna da.« Sie betraten das Haus. Es war schattig und khl mit hohen Rumen. Im Hintergrund stand ein kleines ltliches Frauchen in schwarzer Seide und nickte ihnen lchelnd zu. »Ich hab' Anna von Ihnen erzhlt«, sagte Marsha, »und sie war ganz einverstanden. Mein Vater vertraut ihr unbedingt; folglich ist alles in Ordnung. Dann haben wir auch noch Ben.«
Ein farbiger Diener folgte ihnen auf weichen Sohlen in ein kleines Studio, dessen Wnde mit Bchern bedeckt waren. Von einer Anrichte brachte er ein Tablett mit einer Karaffe und Sherryglsern herber. Marsha schttelte den Kopf. Peter akzeptierte einen Sherry und nippte nachdenklich daran. Marsha setzte sich auf ein Sofa und forderte ihn auf, neben ihr Platz zu nehmen.
»Sie sind oft allein,« fragte er.
»Mein Vater kommt zwischen seinen Reisen immer nach Haus. Nur werden die Reisen stndig lnger und die Zeit dazwischen immer krzer. Ich wrde viel lieber in einem hlichen modernen Bungalow wohnen, solange da ein bichen Leben ist.«
»Es sollte mich wundern, ob Sie das wirklich lieber htten.«
»Doch bestimmt«, sagte Marsha entschieden. »Falls ich mit jemandem zusammen wre, den ich gern habe. Oder vielleicht ein Hotel - das wrde mir genauso gut gefallen. Bekommen Hotelmanager nicht ein Appartement ganz fr sich allein - im obersten Stockwerk des Hotels, direkt unterm Dach?«
Erschrocken sah er auf und ertappte sie bei einem Lcheln.
Einen Moment spter meldete der Diener leise, es sei angerichtet.
In einem angrenzenden Raum war ein kleiner runder Tisch fr zwei gedeckt. Glser, Tafelsilber und die paneelierten Wnde schimmerten im Kerzenlicht. ber einem Kaminaufsatz aus schwarzem Marmor hing ein grimmig dreinblickender Patriarch, und Peter konnte sich des Gefhls nicht erwehren, als werde er einer kritischen Musterung unterzogen.
»Lassen Sie sich von Urgrovater nicht die Laune verderben«, sagte Marsha, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Seine grimmige Miene gilt mir. Sehen Sie, er schrieb mal in sein Tagebuch, da er eine Dynastie grnden wolle, und ich bin seine letzte verzweifelte Hoffnung.«
Beim Essen plauderten sie ungezwungen, whrend der Diener unaufdringlich servierte. Das Dinner war exquisit - der Hauptgang ein hervorragend gewrztes Jambalaya, gefolgt von einer ebenso delikaten Creme Brulee. Peter, dem die Einladung gewisse Befrchtungen eingejagt hatte, entdeckte, da er sich wirklich wohl fhlte. Mit jeder verstreichenden Minute wirkte Marsha munterer und charmanter, und er selbst wurde in ihrer Gegenwart immer aufgeschlossener. Darin lag letzten Endes nichts Erstaunliches, fand er, da der Altersunterschied zwischen ihnen keineswegs gro war. Und im sanften Schimmer des Kerzenlichtes, das den alten Raum um sie herum in Schatten tauchte, fiel ihm wieder auf, wie wunderschn sie war.
Er fragte sich, ob der franzsische Adlige, der das groe Haus gebaut hatte, und seine Mtresse frher hier auch so intim miteinander gespeist hatten. Entsprang der Gedanke einem Zauber, den die Umgebung und der Anla auf ihn ausbten?
Nach dem Essen sagte Marsha: »Wir wollen den Kaffee auf der Galerie trinken.«
Als er ihren Stuhl zurckzog, sprang sie rasch auf und nahm, wie schon vorhin, impulsiv seinen Arm. Belustigt lie er sich in die Halle hinaus- und eine breite geschwungene Treppe hinauffhren. Oben mndete ein breiter Korridor, dessen mit Fresken bemalte Wnde matt erleuchtet waren, in die offene Galerie, die sie von dem nun im Dunkeln daliegenden Garten aus betrachtet hatten.
Mokkatassen und ein silbernes Kaffeeservice standen auf einem Korbtisch. Eine Gaslaterne verbreitete flackerndes Licht. Sie nahmen mit ihren Kaffeetassen auf einer Hollywoodschaukel Platz, die trge hin- und herschwang, als sie sich setzten. Die Nachtluft wir angenehm khl und von einer kaum sprbaren Brise bewegt. Aus dem Garten tnte das tiefe Summen von Insekten herauf; und von der zwei Blocks entfernten St. Charles Avenue drang gedmpfter Verkehrslrm herber. Peter wurde sich pltzlich bewut, da Marsha neben ihm sehr still geworden war.
»Sie sind ja auf einmal so wortkarg«, sagte er vorwurfsvoll.
»Ich wei. Ich berlege, wie ich Ihnen etwas sagen soll.«
»Warum kommen Sie nicht offen mit der Sprache heraus? Das ist meistens das beste.«
»Na schn.« Ihre Stimme klang atemlos. »Ich hab' festgestellt, da ich Sie heiraten mchte.«
Fr eine Zeitspanne, die ihm endlos vorkam, die aber vermutlich nur einige Sekunden dauerte, blieb Peter reglos sitzen; auch die Schaukel bewegte sich nicht mehr. Dann stellte er mit bedachtsamer Sorgfalt seine Kaffeetasse ab.
Marsha lachte nervs. »Falls Sie davonlaufen mchten, die Treppe ist da drben.«
»Nein«, antwortete er. »Wenn ich das tte, wrde ich nie erfahren, warum Sie das eben gesagt haben.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher.« Sie sah in die Nacht hinaus, das Gesicht halb abgewandt. Er sprte, da sie zitterte.
Was immer er auch als nchstes zu diesem impulsiven Mdchen sagte, so kam es vor allem darauf an, da er den richtigen Ton fand, da er sanft und taktvoll zu ihr sprach. Dabei schnrte sich ihm vor lauter Nervositt die Kehle zusammen. Widersinnigerweise erinnerte er sich in diesem Moment einer Bemerkung, die Christine heute morgen geuert hatte: Die kleine Miss Preyscott ist einem Kind so hnlich wie eine Katze einem Tiger. Aber einem Mann macht es vermutlich Spa, aufgefressen zu werden. Diese Bemerkung war natrlich unfair, sogar hart. Aber es stimmte, da Marsha weder ein Kind war noch wie ein Kind behandelt werden durfte.
»Marsha, Sie kennen mich doch kaum und ich Sie auch nicht.«
»Glauben Sie an Instinkt?«
»Bis zu einem gewissen Grad, ja.«
»Ich fhlte mich instinktiv zu Ihnen hingezogen. Vom ersten Augenblick an.« Zuerst hatte ihre Stimme geschwankt; nun wurde sie fester. »Mein Instinkt hat meistens recht.«
»Auch bei Stanley Dixon und Lyle Dumaire?« fragte er milde.
»Da hatte ich den richtigen Instinkt, aber ich hab mich nicht daran gekehrt, das ist alles. Diesmal bin ich ihm gefolgt.«
»Es kann trotzdem eine Tuschung sein.«
»Gegen Irrtmer ist man nie gefeit, auch wenn man sehr lange wartet.« Marsha wandte sich ihm zu und sah ihn gerade an. Als sie ihm forschend in die Augen blickte, sprte er an ihr eine Willensstrke, die ihm bisher nicht aufgefallen war. »Mein Vater und meine Mutter kannten einander fnfzehn Jahre lang, bevor sie heirateten. Meine Mutter hat mir mal erzhlt, alle ihre Freunde htten ihnen eine perfekte Ehe prophezeit. Wie sich dann herausstellte, htte sie gar nicht schlechter sein knnen. Ich wei Bescheid; ich hab's miterlebt.«
<>Er schwieg, weil er nicht wute, was er sagen sollte.»Ich habe einiges dabei gelernt. Und noch etwas anderes hat mir zu denken gegeben. Sie haben Anna heute abend gesehen?«
»Ja.«
»Mit siebzehn wurde sie gezwungen, einen Mann zu heiraten, dem sie vorher nur ein einziges Mal begegnet war. Es war eine Abmachung zwischen den beiden Familien; damals gab es so etwas noch.«
»Erzhlen Sie weiter.«
»Am Tag vor der Hochzeit weinte Anna die ganze Nacht hindurch. Aber sie wurde trotzdem verheiratet, und ihre Ehe dauerte sechsundvierzig Jahre. Ihr Mann starb letztes Jahr; sie wohnten hier bei uns. Er war der netteste, seste Mann, den man sich denken kann. Und wenn es jemals ein glckliches Ehepaar gab, dann waren's die beiden.«
Er zgerte, weil es ihm widerstrebte, einen allzu leichten Gewinn einzuheimsen, wandte dann aber doch ein: »Sie widerlegen sich selbst. Anna folgte ihrem Instinkt nicht. Htte sie's getan, dann htte sie nicht geheiratet.«
»Ich wei. Ich will damit blo sagen, da es berhaupt keine garantiert sichere Methode gibt. Instinkt kann ein ebenso guter Wegweiser sein wie sonst was.« Sie verstummte und fgte nach einer Weile hinzu: »Ich wei genau, mit der Zeit knnte ich Sie dazu bringen, mich zu lieben.«
Es war grotesk, aber pltzlich berkam ihn ein Gefhl der Erregung. Der Gedanke war natrlich absurd; der berspannte Einfall eines romantischen, phantasievollen Mdchens. Er, der frher selbst das Opfer seiner romantischen Vorstellungen geworden war, mute es von Rechts wegen wissen. Aber wute er es denn wirklich? Hatte jede Situation ihren Vorgnger? War Marshas Antrag tatschlich so phantastisch? Er war pltzlich und gegen jede Vernunft berzeugt davon, da alles, was sie gesagt hatte, durchaus zutreffen konnte.
Er fragte sich, was der abwesende Mark Preyscott von dem Einfall seiner Tochter halten wrde.
»Falls Sie an meinen Vater denken...«
»Woher wissen Sie das?« fragte er entgeistert.
»Weil ich Sie allmhlich ganz gut kenne.«
Er atmete tief ein und hatte dabei das Empfinden, da die Luft sehr dnn war. »Was ist mit Ihrem Vater?«
»Zuerst wird er vermutlich beunruhigt sein und sofort nach Hause fliegen. Das macht aber nichts.« Marsha lchelte. »Vernnftigen Argumenten ist er immer zugnglich, und ich wei, ich knnte ihn berzeugen. Auerdem wrde er Sie mgen. Ich kenne die Sorte Leute, die er am meisten bewundert, und Sie gehren dazu.«
»Na«, Peter schwankte zwischen Belustigung und Ernst, »das ist wenigstens ein Trost.«
»Da ist noch etwas. Mir wre es egal, aber meinem Vater nicht. Sehen Sie, ich wei - und mein Vater wrde es auch merken -, da Sie eines Tages ein ganz groer Hotelmann sein werden, vielleicht sogar mit einem eigenen Hotel. Nicht, da ich so wild darauf bin. Ich mchte Sie, sonst nichts.« Sie hielt atemlos inne.
»Marsha«, sagte Peter sanft, »ich wei... ich wei einfach nicht, was ich sagen soll.«
In der nun folgenden Pause konnte er spren, wie Marshas Selbstvertrauen nachlie. Es war, als htte sie ihre Zuversicht aus einer Kraftreserve gespeist, aber nun hatte sich die Reserve erschft und damit auch ihr Mut. Mit dnner schchterner Stimme sagte sie: »Sie halten mich fr albern. Sagen Sie's lieber gleich, dann haben wir's hinter uns.«
»Ich denke nichts dergleichen«, versicherte er. »Wenn alle Menschen so ernsthaft und aufrichtig wren wie Sie...«
»Soll das heien, da Sie mir nicht bse sind?«
»Im Gegenteil, ich bin gerhrt und berwltigt.«
»Dann sagen Sie nichts mehr!« Marsha sprang auf und streckte ihm beide Hnde hin. Er nahm sie, und sie standen einander mit verschlungenen Fingern gegenber. Marsha hatte offenbar die Fhigkeit, Zweifel abzuschtteln, auch wenn sie ihrer Sache nicht ganz sicher war. »Gehen Sie einfach weg, und denken Sie darber nach!« beschwor sie ihn. »Denken Sie mit aller Macht! Besonders an mich.«
»Es wird mir schwerfallen, nicht an Sie zu denken«, erwiderte er, und es war ihm ernst damit.
Sie hob ihm ihr Gesicht zu einem Ku entgegen, und er beugte sich ber sie. Seine Absicht war, nur leicht ihre Wange zu streifen, aber sie prete ihre Lippen auf seine, und als sie einander berhrten, schlang sie beide Arme fest um seinen Hals. In seinem Kopf lutete irgendwo ganz schwach eine Alarmglocke. Ihr Krper schmiegte sich an ihn; der enge Kontakt wirkte elektrisierend; er berauschte ihn und raubte ihm den Atem. Ihr Parfm stieg ihm in die Nase. Es war unmglich, Marsha in diesem Moment fr etwas anderes als eine Frau zu halten. Er sprte, wie sein Krper erwachte, seine Sinne verschwammen. Die Alarmglocke war verstummt. Aus weiter Ferne hrte er die Worte: Die kleine Miss Preyscott... es wrde einem Mann Spa machen... aufgefressen zu werden.
Energisch machte er sich los und ergriff sacht Marshas Hnde. »Ich mu gehen.«
Marsha begleitete ihn bis auf die Terrasse. Er strich ihr zrtlich ber das Haar. Sie flsterte: »Peter, Liebling.«
Er stieg die Stufen zum Garten hinunter, ohne recht zu wissen, da sie da waren.
14
Um halb elf Uhr nachts benutzte Ogilvie, der Hausdetektiv, einen der frs Personal bestimmten Kellertunnel, um vom Hauptgebude des St. Gregory aus in die angrenzende Hotelgarage zu gehen.
Er hatte den Tunnel statt des bequemeren Durchgangs im Erdgescho aus demselben Grund gewhlt, aus dem er sich gerade fr diesen Zeitpunkt entschieden hatte - um so wenig wie mglich aufzufallen. Um halb elf hatten Gste, die den Abend auswrts verbringen wollten, ihren Wagen bereits abgeholt, und fr ihre Rckkehr war es noch zu frh. Auerdem war um diese Stunde nicht mit Neuzugngen zu rechnen, wenigstens nicht mit solchen, die im eigenen Wagen kamen.
Ogilvies ursprnglicher Plan, mit dem Jaguar des Herzogs und der Herzogin von Croydon um ein Uhr - in ber drei Stunden also - nach dem Norden aufzubrechen, hatte sich nicht gendert. Vor der Abfahrt jedoch hatte der fette Mann noch etwas Wichtiges zu erledigen, und dabei konnte er keine Zuschauer brauchen.
Die fr seine Arbeit notwendigen Materialien trug er in einem Papierbeutel in der Hand. Hier handelte es sich um eine Unterlassungssnde der Herzogin, die sie trotz all ihrer Sorgfalt nicht bedacht hatte. Ogilvie war das Versumnis von Anfang an aufgefallen; er zog es jedoch vor, seine Meinung fr sich zu behalten.
Bei dem doppelten Unglck in der Montagnacht war ein Scheinwerfer des Jaguars in die Brche gegangen. Durch den Verlust des Blechrings, der sich nun im Besitz der Polizei befand, hatte sich dazu noch das elektrische Kabel gelockert. Sollte der Wagen, wie beabsichtigt, bei Dunkelheit gefahren werden, mute man den Schweinwerfer und das Kabel wenigstens notdrftig zusammenflicken. Es war jedoch viel zu gefhrlich, den Wagen in eine Autowerkstatt zu bringen, und es kam ebensowenig in Betracht, den hoteleigenen Mechaniker mit der Ausbesserung zu betrauen.
Gestern hatte Ogilvie, auch zu einem Zeitpunkt, in dem sich in der Garage nichts tat, den Jaguar auf seinem versteckten Platz hinter dem Pfeiler inspiziert und entschieden, da er die provisorische Reparatur selbst durchfhren konnte, wenn es ihm gelang, sich die passenden Ersatzteile zu verschaffen.
Er erwog den Gedanken, einen neuen Scheinwerfer beim einzigen Jaguarhndler in New Orleans zu kaufen, und verwarf ihn, weil es zu riskant war. Obwohl die Polizei - soweit Ogilvie wute - noch immer nicht ber das Fabrikat des Wagens, den sie suchte, im Bilde war, wrde sie in ein oder zwei Tagen, sowie die Glassplitter identifiziert waren, auf dem laufenden sein. Falls er jetzt einen Scheinwerfer fr einen Jaguar kaufte und die Polizei Ermittlungen anstellte, wrde man sich im Laden hchstwahrscheinlich an ihn erinnern und der Sache nachgehen. Folglich hatte er sich mit einem nordamerikanischen Standardmodell aus einem Selbstbedienungsladen fr Autozubehr begngt. Seinem Aussehen nach konnte es brauchbar sein. Nun wollte er es ausprobieren.
Der Kauf der Lmpe war eine zustzliche Belastung gewesen an einem Tag, der dem Hausdetektiv ohnehin ein berma an Arbeit gebracht hatte und ein Gefhl von Befriedigung und zugleich ein bohrendes Unbehagen in ihm zurcklie. Auerdem war er erschpft, ein schlechter Beginn fr die lange Fahrt nach dem Norden, die ihm bevorstand. Er trstete sich mit dem Gedanken an die fnfundzwanzigtausend Dollar, wovon er zehntausend, wie verabredet, heute nachmittag bei der Herzogin von Croydon abgeholt hatte. Es war eine verkrampfte, kalte Begegnung gewesen, die Herzogin wortkarg und frmlich, Ogilvie, den das nicht anfocht, hatte die gebndelten Geldscheine gierig in eine Aktentasche gestopft. Neben ihnen der Herzog, betrunken hin- und herschwankend, mit blutunterlaufenen Augen und von dem, was geschah, kaum etwas wahrnehmend.
Die Erinnerung an das Geld erfllte den fetten Mann mit angenehmer Wrme. Es war gut versteckt; vorsichtshalber hatte er nur zweihundert Dollar bei sich, fr den Fall, da bei der Fahrt irgend etwas schiefging.
Sein Unbehagen hatte zwei Grnde. Einmal war er sich der Folgen bewut, die es fr ihn haben mute, falls es ihm nicht gelang, den Jaguar unangefochten aus New Orleans und danach durch Louisiana, Mississippi, Tennessee und Kentucky zu schleusen. Zweitens war da der nachdrckliche Ton, mit dem Peter McDermott Ogilvie auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, in der Nhe des Hotels zu bleiben.
Der Diebstahl gestern nacht (mit der Wahrscheinlichkeit, da ein professioneller Dieb im St. Gregory sein Wesen trieb) htte sich gar nicht zu einem ungelegeneren Zeitpunkt ereignen knnen. Ogilvie hatte getan, was in seinen Krften stand. Er hatte die Polizei benachrichtigt, und Detektive hatten den beraubten Gast verhrt. Das Hotelpersonal, Ogilvies Untergebene mit eingeschlossen, war alarmiert, und Ogilvies Stellvertreter war mit Verhaltungsmaregeln fr alle nur denkbaren Eventualitten ausgestattet worden. Nichtsdestoweniger war sich Ogilvie klar darber, da er eigentlich bei der Hand sein sollte, um die Operation persnlich zu leiten. Sobald seine Abwesenheit McDermott zu Ohren kam, was morgen frh der Fall sein wrde, war ein Donnerwetter unvermeidlich. Aber schlielich wrde das Donnerwetter ergebnislos in der Luft verpuffen, weil McDermott und seinesgleichen kamen und gingen, whrend Ogilvie aus Grnden, die nur ihm und Warren Trent bekannt waren, auf seinem Posten blieb. Immerhin wrde es eine Nebenwirkung haben, die der Hausdetektiv um jeden Preis vermeiden wollte; es wrde die Aufmerksamkeit auf sein Tun und Treiben in den nchsten paar Tagen lenken.
Nur in einem Punkt hatte sich der Diebstahl als ntzlich erwiesen. Er hatte Ogilvie einen zwingenden Grund zu einem weiteren Besuch im Polizeiprsidium geliefert, wo er sich beilufig nach den Fortschritten in der Fahrerfluchtaffre erkundigt hatte. Dabei erfuhr er, da der Fall noch immer erstrangig bearbeitet wurde und die gesamte Polizei in Erwartung einer gnstigen Chance in Alarmbereitschaft stand. Im »States-Item« von heute nachmittag hatte die Polizei erneut an die ffentlichkeit appelliert, jeden Wagen mit beschdigtem Kotflgel oder Scheinwerfer zu melden. Die Information hatte ihr Gutes, aber sie verringerte auch die Chance, den Jaguar unentdeckt aus der Stadt zu bringen. Ogilvie schwitzte ein bichen, wenn er daran dachte.
Er hatte das Ende des Tunnels erreicht und befand sich im Kellergescho der Garage.
In der sprlich erleuchteten Halle war es still. Ogilvie berlegte, ob er sich direkt zum Wagen der Croydons in einem der oberen Stockwerke begeben oder das Garagenbro aufsuchen sollte, wo der Kontrolleur der Nachtschicht sa. Er entschied, da es klger war, zuerst im Bro vorbeizuschauen.
Mhsam und schnaufend kletterte er eine schmale Eisentreppe hinauf. Der Kontrolleur, ein ltlicher, diensteifriger Mann namens Kulgmer, war allein in seiner hellerleuchteten Zelle unweit der Ein- und Ausfahrtrampe. Er legte ein Groschenblatt beiseite, als der Hausdetektiv eintrat.
»Ich wollte Ihnen blo Bescheid geben«, sagte Ogilvie. »Ich hol' nachher den Wagen des Herzogs von Croydon raus. Er steht in Box 371. Ist eine reine Geflligkeit von mir.«
Kulgmer runzelte die Stirn. »Ich wei nicht, ob ich Ihnen das erlauben kann, Mr. O. Nicht ohne eine ordnungsgeme Vollmacht.«
Ogilvie zeigte das Briefchen vor, das die Herzogin am Morgen, auf seine Bitte hin, geschrieben hatte. »Schtze, das drfte Ihnen als Vollmacht gengen.«
Der Nachtkontrolleur las den Text aufmerksam durch und drehte das Blatt dann um. »Scheint okay zu sein.«
Der Hausdetektiv streckte seine plumpe mollige Hand aus, um den Zettel an sich zu nehmen.
Kulgmer schttelte den Kopf. »Das mu ich behalten. Um mich abzusichern.«
Der fette Mann zuckte mit den Schultern. Es wre ihm lieber gewesen, er htte das Briefchen zurckbekommen, aber er wollte sich nicht auf einen Streit einlassen und einen Vorfall aufbauschen, der andernfalls vielleicht rasch vergessen wurde. Er zeigte auf den Papierbeutel. »Bring blo das Zeug hoch. In zwei Stunden oder so hol' ich den Wagen raus.«
»Wie Sie wollen, Mr. Ogilvie.« Der Kontrolleur nickte und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.
Einige Minuten spter warf Ogilvie einen scheinbar gleichgltigen Blick in die Runde, bevor er sich der Box 371 nherte. In dem niedrigen, betonierten, etwa zu fnfzig Prozent mit Wagen belegten Garagengescho war es still und wie ausgestorben. Die Wagenjockeys, die Nachtdienst hatten, befanden sich zweifellos in ihren Umkleiderumen im Erdgescho und benutzten die vorbergehende Flaute, um ein Nickerchen zu machen oder Karten zu spielen. Dennoch war es angebracht, schnell zu arbeiten.
In der anderen Ecke, im Schutz des Jaguars und des Pfeilers, leerte Ogilvie den Beutel und breitete den Inhalt - Scheinwerfer, Schraubenzieher, Zangen, ein Stck Kabel und schwarzes Isolierband - auf dem Boden aus.
Seine Finger bewegten sich bei all ihrer Plumpheit erstaunlich flink und gewandt. Nachdem er Hindschuhe bergezogen hatte, um seine Hnde zu schtzen, entfernte er die berreste des zertrmmerten Scheinwerfers. Im Nu hatte er festgestellt, da zwar die Ersatzlampe zum Jaguar passen wrde, nicht aber das Verbindungskabel. Damit hatte er gerechnet. Mit raschen Handgriffen, Zange, Draht und Isolierband benutzend, verfertigte er eine primitive, jedoch brauchbare Verbindung. Dann befestigte er die Lampe mit Draht und stopfte einen Pappendeckel, den er vorsorglich eingesteckt hatte, in die Lcke, die der fehlende Blechring hinterlassen hatte. Die Pappe sicherte er mit Isolierband, das er mehrmals herumwickelte und hinten festmachte. Das Ganze war natrlich nur Stckwerk, das im Tageslicht leicht entdeckt wurde, bei Nacht jedoch seinen Zweck erfllte. Die Reparatur hatte nahezu eine Viertelstunde gedauert. Er ffnete die rechte Wagentr und schaltete das Licht ein. Beide Scheinwerfer funktionierten.
Er stie ein erleichtertes Grunzen aus. Im gleichen Moment ertnte von unten das scharfe Stakkato einer Hupe und das Drhnen eines anfahrenden Wagens Ogilvie erstarrte. Der durch die Betonwnde und niedrigen Decken verstrkte Motorenlrm kam nher, und dann strichen pltzlich Scheinwerfer vorbei und schwenkten um die Biegung der Rampe ein Stockwerk hher. Reifen quietschten, der Motor verstummte, eine Wagentr wurde zugeknallt. Ogilvie entspannte sich. Der Wagenjockey wrde im Personenaufzug wieder hinunterfahren.
Als er sich entfernende Schritte hrte, verstaute er das Werkzeug sowie einige grere Glassplitter von der ursprnglichen Lampe im Beutel und stellte ihn beiseite, um ihn spter mitzunehmen.
Auf dem Weg nach oben hatte er einen Stock tiefer einen Abstellraum bemerkt. Er ging auf der Rampe hinunter.
Seine Hoffnung hatte nicht getrogen. Er entdeckte darin Putzutensilien und suchte sich einen Besen, Kehrichtschaufel und einen Eimer heraus. Den Eimer fllte er halbvoll mit warmem Wasser und warf ein Scheuertuch hinein. Die Ohren spitzend, wartete er zwei weitere Wagen ab und hastete einen Stock her zurck zum Jaguar.
Mit Besen und Schaufel suberte er sorgsam den Boden der Wagenbox. Es durften keine Glaspartikelchen zurckbleiben, die die Polizei identifizieren und mit den am Unfallort eingesammelten Scherben vergleichen konnte.
Die Zeit wurde knapp. Immer mehr Wagen trafen in der Garage ein und wurden geparkt. Zweimal whrend des Kehrens hatte er sich geduckt und die Luft angehalten, als ein Wagen nur wenige Meter vom Jaguar entfernt in eine Box einschwenkte. Zum Glck hatte der Wagenjockey sich nicht die Mhe gemacht, sich umzuschauen, aber es war eine Mahnung fr Ogilvie, zum Ende zu kommen. Falls ein Jockey ihn sah und herberkam, bedeutete das Neugier und lstige Fragen, die sich unten wiederholen wrden. Die Erklrung, die Ogilvie dem Nachtkontrolleur fr seinen Besuch in der Garage gegeben hatte, wrde wenig berzeugend erscheinen. Und nicht nur das, die einzige Chance fr eine unentdeckte Fahrt nach dem Norden hing davon ab, da er eine mglichst schwache Spur hinter sich zurcklie.
Nun blieb nur noch eins zu tun. Mit dem warmen Wasser und dem Tuch wischte er behutsam die beschdigten Teile des Kotflgels und die Motorhaube des Jaguars ab. Als er das Tuch auswrang, wurde das vorher klare Wasser braun. Er inspizierte sein Werk und war mit dem Ergebnis zufrieden. Was immer auch geschehen mochte, es waren keine getrockneten Blutspritzer mehr auf dem Wagen.
Zehn Minuten spter, vor Anstrengung schwitzend, war er wieder im Hauptgebude des Hotels. Er begab sich direkt in sein Bro, wo er eine Stunde lang zu schlafen gedachte, bevor er nach Chikago aufbrach. Er blickte auf die Uhr. Es war Viertel nach elf.
15
»Ich knnte besser helfen«, bemerkte Royall Edwards anzglich, »wenn mir jemand sagen wrde, worum es eigentlich geht.«
Der Rechnungsprfer des St. Gregory wandte sich an die zwei Mnner, die ihm in der Buchhaltung gegenbersaen. Zwischen ihnen, auf dem langen Tisch, lagen aufgeschlagene Hauptbcher und Ordner, und das gesamte Bro, das um diese Zeit sonst in Dunkel gehllt war, erstrahlte in grellem Licht. Edwards selbst hatte vor einer Stunde die Lampen angeknipst, als er die beiden Besucher aus Warren Trents Suite in der fnfzehnten Etage direkt hierher gebracht hatte.
Die Anweisungen des Hotelbesitzers waren deutlich gewesen. »Diese beiden Herren werden unsere Bcher prfen. Wahrscheinlich werden sie bis morgen frh durcharbeiten. Es wre mir lieb, wenn Sie bei Ihnen blieben. Zeigen Sie ihnen alles, was sie einsehen mchten. Halten Sie mit keiner Information zurck.«
Royall Edwards fand, da sein Arbeitgeber bei dieser Gelegenheit heiterer wirkte als seit langem. Aber die Heiterkeit besnftigte den Rechnungsprfer keineswegs, der sich darber rgerte, da man ihn von zu Haus und von seiner Briefmarkensammlung weg ins Hotel zitiert hatte, und den es noch mehr reizte, da man ihn in dieser Sache nicht ins Vertrauen zog. Auerdem emprte es ihn, da er die ganze Nacht hindurch arbeiten sollte.
Natrlich wute der Rechnungsprfer, da die Hypothek am Freitag fllig war und was die Anwesenheit Curtis O'Keefes im Hotel bedeutete. Diese neue Heimsuchung hing offenbar irgendwie damit zusammen. Ein mglicher Hinweis waren die Gepckanhnger an den Reisetaschen der beiden Besucher, aus denen hervorging, da sie von Washington, D. C, herbergeflogen waren. Doch sagte hm sein Instinkt, da die beiden Wirtschaftsprfer - denn das waren sie zweifellos - mit der Regierung nichts zu tun hatten. Nun, irgendwann wrde er vermutlich alles erfahren. Indessen war es verdrielich, da man ihn wie einen untergeordneten Schreiber behandelte.
Seine Bemerkung, da er mehr helfen knnte, wenn er besser informiert wre, war unbeantwortet geblieben, und er wiederholte sie.
Der ltere der beiden Besucher, ein untersetzter Mann mittleren Alters mit einem unbeweglichen Gesicht, griff nach der neben ihm stehenden Kaffeetasse und trank sie aus. »Ein's sag' ich immer, Mr. Edwards, es geht nichts ber eine gute Tasse Kaffee. Also, die meisten Hotels verstehen nichts davon. Das St. Gregory ist da eine rhmliche Ausnahme. Und ich schtze, mit einem Hotel, das so guten Kaffee serviert, kann nicht viel faul sein. Was meinst du, Frank?«
»Ich meine, wenn wir bis morgen frh fertig werden wollen, mssen wir uns ranhalten«, erwiderte der zweite Mann mrrisch, ohne von einer Rohbilanz aufzublicken, die er gerade aufmerksam durchsah.
Der erste machte eine beschwichtigende Handbewegung.
»Da sehen Sie selbst, wie's ist, Mr. Edwards. Ich schtze, Frank hat recht; er hat meistens recht. So gern ich Ihnen auch alles erklren wrde, es ist wohl besser, wir machen uns an die Arbeit.«
»Wie es Ihnen beliebt«, sagte Royall Edwards steif, im Bewutsein, da er zurckgewiesen worden war.
»Danke, Mr. Edwards. Jetzt wrde ich gern mal Ihr Inventarsystem besehen - Einkauf, Kontrollkartei, derzeitige Lagerbestnde, Ihre letzte Lieferungskontrolle und alles brige. Hren Sie, der Kaffee war wirklich gut. Knnten wir noch mehr davon haben?«
Der Rechnungsprfer sagte: »Ich bestelle noch welchen.«
Trbselig sah er auf seiner Uhr, da es bereits kurz vor Mitternacht war. Allem Anschein nach wrden sie noch stundenlang hier sitzen.
DONNERSTAG
1
Wenn er fr die Arbeit eines neuen Tages frisch sein wollte, dachte Peter McDermott, dann war es wohl besser, nach Haus zu gehen und noch ein bichen zu schlafen.
Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht. Er hatte einen zweistndigen Fumarsch hinter sich und fhlte sich erquickt und angenehm mde.
Ein tchtiges Stck zu laufen war von jeher sein Allheilmittel, namentlich, wenn er Sorgen hatte oder ein ungelstes Problem ihm zu schaffen machte.
Nachdem er sich von Marsha verabschiedet hatte, war er direkt in sein Appartement in der Innenstadt zurckgekehrt. Aber die engen Rume bedrckten ihn, und er war zu ruhelos, um zu schlafen; deshalb hatte er die Wohnung wieder verlassen und war zum Flu hinuntergegangen. Er war die Poydras und Julia Street entlanggeschlendert, wo am Pier Schiffe vertut lagen, erleuchtet und schweigend die einen, betriebsam und abfahrbereit die anderen. Dann hatte er an der Canal Street die Fhre genommen, war am jenseitigen Ufer des Mississippi ausgestiegen und an den einsamen Anlegepltzen vorbeigestreift und hatte ber den dunklen Strom hinweg die Lichter der Stadt betrachtet. Schlielich war er umgekehrt, durch das Vieux Carre gebummelt und sa nun, einen cafe au lait vor sich, auf dem alten Franzsischen Markt.
Zum erstenmal seit mehreren Stunden hatte er vor einigen Minuten wieder an die schwebenden Hotelaffren gedacht und im St. Gregory angerufen. Auf seine Frage, ob es beim Kongre amerikanischer Zahnrzte etwas Neues gebe, hatte ihm der stellvertretende Nachtmanager erklrt, ja, der Oberkellner des Kongresaales habe kurz vor Mitternacht eine Nachricht hinterlassen. Danach habe der Vorstand des Zahnrzteverbands trotz sechsstndiger Beratung keinen endgltigen Beschlu gefat. Doch sei fr halb zehn kommenden Vormittag im Dauphine-Salon eine Sondersitzung smtlicher Tagungsteilnehmer einberufen worden. Man rechne mit ungefhr dreihundert Personen. Die Sitzung fnde unter Ausschlu der ffentlichkeit statt; zu diesem Zweck treffe man umfangreiche Sicherungsmanahmen, und man habe auch das Hotel gebeten, dafr zu sorgen, da die Diskussion nicht gestrt wrde.
Peter gab Anweisung, alle Wnsche des Vorstandes, wenn irgend mglich, zu erfllen, und schlug sich dann die Affre bis zum nchsten Morgen aus dem Kopf.
Abgesehen von dieser kurzen Unterredung, hatte er sich in Gedanken fast nur mit Marsha und den Geschehnissen des Abends beschftigt. Fragen summten in seinem Kopf wie ein aufgeregter Bienenschwarm. Wie konnte er sich anstndig aus der Zwickmhle befreien, ohne taktlos zu erscheinen oder Marshas Gefhle zu verletzen? Eines war jedenfalls klar: er konnte ihen Antrag unmglich annehmen. Aber es wre albern und herzlos gewesen, eine so ehrliche Erklrung mit einem lssigen Schulterzucken abzutun. Nicht umsonst hatte er zu ihr gesagt: Wenn alle Menschen so ehrlich wren wie Sie...
Dann war da noch etwas - und warum sollte er sich scheuen, es zuzugeben, falls es ihm mit der Aufrichtigkeit ernst war? Marsha hatte ihn heute nacht nicht als junges Mdchen gereizt, sondern als Frau. Wenn er die Augen schlo, stand ihr Bild noch immer deutlich vor ihm wie starker Wein.
Aber von diesem starken Wein hatte er schon frher gekostet und von dem Rausch war nichts geblieben als ein bitterer Nachgeschmack. Damals hatte er sich geschworen, diese Versuchung knftig zu meiden. Machte eine solche Erfahrung einen Mann kritischer und klger bei der Wahl einer Frau? Er bezweifelte es.
Und dennoch war er ein Mann, atmete, fhlte. Keine selbstauferlegte Absonderung konnte oder sollte ewig dauern. Fragte sich nur, wann und wie sollte er sie beenden?
Was nun? Wrde er Marsha wiedersehen? Falls er ihre Beziehung nicht auf der Stelle und unwiderruflich abbrach, war ein Wiedersehen vermutlich unvermeidlich. Unter welchen Bedingungen sollte er die Bekanntschaft fortsetzen? Und wie verhielt es sich mit dem Altersunterschied zwischen ihnen?
Marsha war neunzehn. Er war zweiunddreiig. Die Kluft schien gro zu sein, aber war sie es wirklich? Wren sie beide zehn Jahre lter, wrde bestimmt kein Mensch eine Liebesaffre
- oder eine Heirat - fr ungewhnlich halten. Auerdem bezweifelte er stark, da Marsha zu einem Jungen ihres eigenen Alters ein enges Verhltnis finden wrde.
Die Fragen nahmen kein Ende. Aber die Entscheidung darber, ob und unter welchen Umstnden er Marsha wiedersehen wrde, stand noch aus.
Im brigen geisterte durch all seine berlegungen stets der Gedanke an Christine. Er und Christine schienen sich innerhalb der letzten Tage nhergekommen zu sein als je zuvor. Selbst im Haus der Preyscotts hatte er sich ihrer erinnert, und sogar jetzt sehnte er sich nach ihrem Anblick und ihrer Stimme.
Es war seltsam, da er, der noch vor einer Woche absolut ungebunden war, nun zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen wurde!
Peter grinste klglich, als er den Kaffee bezahlte und sich erhob, um heimzugehen.
Das St. Gregory lag mehr oder weniger auf seinem Weg, und instinktiv schlug er die Richtung ein. Als er das Hotel erreichte, war es kurz nach ein Uhr.
In der Halle war noch Betrieb. Drauen auf der St. Charles Avenue hingegen war bis auf ein einzelnes Taxi und ein oder zwei Passanten kaum noch Leben. Er berquerte die Strae und ging, um den Weg abzukrzen, an der Rckseite des Hotels entlang. Hier war es noch stiller. Er war im Begriff, die Einfahrt zur Hotelgarage zu berqueren, als Motorengerusch und das Aufleuchten von Scheinwerfern auf der Innenrampe ihn zum Stehenbleiben veranlaten. Gleich darauf kam ein niedriger langgestreckter Wagen in Sicht. Er fuhr schnell und bremste scharf und mit quietschenden Reifen am Ende der Ausfahrt. Als der Wagen stoppte, befand er sich direkt im Lichtkreis einer Straenlaterne. Peter stellte fest, da es sich um einen Jaguar handelte und da der eine Kotflgel aussah, als htte er eine Delle; auch mit dem Scheinwerfer war offenbar irgend etwas nicht in Ordnung. Er hoffte, da der Schaden nicht durch Unachtsamkeit in der Hotelgarage verursacht worden war. Andernfalls wrde er bald genug davon hren.
Automatisch blickte er zum Fahrer hinber. Er war verdutzt, als er Ogilvie erkannte. Auch der Chefdetektiv machte ein erstauntes Gesicht, als er Peters Blick begegnete. Dann schwenkte der Wagen abrupt in die Strae ein und brauste davon.
Peter wunderte sich, wohin Ogilvie fahren mochte; und warum in einem Jaguar statt in seinem alten zerschrammten Chevrolet? Dann sagte er sich, da es ihn nichts anging, was die Angestellten auerhalb des Hotels trieben, und ging weiter und nach Haus.
Eine halbe Stunde spter schlief er fest.
2
Im Gegensatz zu Peter McDermott erfreute sich Keycase Milne keiner ungestrten Nachtruhe.
Die Schnelligkeit und Gewandtheit, mit der er sich genaue Einzelheiten ber den Schlssel der Prsidentensuite beschafft hatte, war, was die Anfertigung des Duplikats anging, nicht vom gleichen Erfolg gekrnt. Die Beziehungen, die Keycase bei der Ankunft in New Orleans angeknpft hatte, waren nicht so brauchbar, wie er erwartet hatte. Schlielich hatte sich ein Schlosser in einem Slumviertel unweit des Irish Channel - ein vertrauenswrdiger Mann, wie Keycase versichert worden war -bereit erklrt, den Auftrag zu bernehmen, obwohl es ihn verdro, da er nach einer Zeichnung arbeiten mute und nicht einfach einen vorhandenen Schlssel kopieren konnte. Aber der neue Schlssel wrde nicht vor Donnerstag mittag fertig sein, und der geforderte Preis war exorbitant.
Keycase hatte sich sowohl mit dem Preis als auch mit der Wartezeit abgefunden, in der Erkenntnis, da es keine Alternative gab. Aber das Warten war besonders milich, weil er wute, da sich mit jeder Stunde das Risiko, aufgesprt und verhaftet zu werden, erhhte.
Heute nacht vor dem Zubettgehen hatte er mit sich gerungen, ob er am frhen Morgen einen neuen Raubzug durchs Hotel machen sollte. In seiner Kollektion befanden sich noch zwei unbenutzte Zimmerschlssel - 449, der zweite Schlssel, den er am Dienstag auf dem Flughafen erwischt hatte, und 803, den er statt seines eigenen Schlssels 830 beim Empfang verlangt und erhalten hatte. Aber er stand von seinem Vorhaben ab, mit der Ausrede, da es klger sei, zu warten und sich auf das grere Projekt mit der Herzogin von Croydon zu konzentrieren. Doch Keycase war sich klar darber, sogar whrend er den Entschlu fate, da ihn hauptschlich Angst dazu veranlate.
In der Nacht, als er keinen Schlaf fand, wurde die Angst immer strker, so da er schlielich gar nicht mehr versuchte, sich selbst etwas vorzumachen. Aber am nchsten Morgen, das nahm er sich fest vor, wrde er die Furcht irgendwie abschtteln und wieder sein beherztes Selbst werden.
Endlich fiel er in unruhigen Schlummer, in dem er trumte, da eine mchtige Eisentr, die Licht und Luft aussperrte, sich allmhlich vor ihm schlo. Er wollte weglaufen, solange sie einen Spalt breit offenblieb, war jedoch nicht imstande, sich von der Stelle zu rhren. Als die Tr zu war, weinte er, weil er wute, da sie sich nie wieder ffnen wrde.
Er erwachte schlotternd im Dunkeln. Sein Gesicht war na von Trnen.
3
Einige siebzig Meilen nrdlich von New Orleans grbelte Ogilvie noch immer ber seine Begegnung mit Peter McDermott nach. Der erste Schock hatte ihm frmlich einen Sto versetzt. ber eine Stunde lang hatte er verkrampft hinter dem Steuer gesessen und den Jaguar zuerst durch die Stadt, dann ber den Pontchartrain Causeway und schlielich auf der Interstate 59 nach Norden gesteuert, ohne da er sich der zurckgelegten Strecke immer bewut war.
Seine Augen wanderten andauernd zum Rckspiegel. Er beobachtete jedes Paar Scheinwerfer, das hinter ihm auftauchte, in der Erwartung, sie wrden ihn mit Sirenengeheul verfolgen und rasch berholen. Hinter jeder Kurve vermutete er eine Straensperre der Polizei.
Ganz zuerst hatte er sich Peter McDermotts Anwesenheit damit erklrt, da McDermott Augenzeuge von Ogilvies belastender Abfahrt sein wollte. Wieso McDermott von seinem Plan Wind bekommen hatte, war Ogilvie schleierhaft. Aber allem Anschein nach war er im Bilde, und der Hausdetektiv war, wie ein grner Anfnger, in die Falle getappt.
Erst viel spter, als die Landschaft im einsamen Halbdunkel des frhen Morgens an ihm vorbeifegte, begann er sich zu fragen, ob das Zusammentreffen nicht vielleicht doch nur ein Zufall gewesen war!
Falls McDermotts Aufkreuzen vor der Garage einen Zweck gehabt htte, wre der Jaguar bestimmt schon lngst verfolgt und angehalten worden. Da nichts dergleichen geschehen war, legte den Gedanken an einen Zufall nahe, machte ihn fast zur Gewihit. Angesichts dieser berlegung hoben sich Ogilvies Lebensgeister. Er weidete sich an der Vorstellung der fnfundzwanzigtausend Dollar, die am Ende der Fahrt sein Eigentum sein wrden.
Er ging mit sich zu Rate, ob es nicht klger wre, einfach weiterzufahren, da bisher alles so gut verlaufen war. In etwas ber einer Stunde wrde es Tag sein. Ursprnglich hatte er vorgehabt, bei Morgengrauen von der Strae abzuschwenken und irgendwo die Dunkelheit abzuwarten. Aber ein mig verbrachter Tag hatte auch seine Gefahren. Er war erst halbwegs durch Mississippi, noch immer verhltnismig nahe bei New Orleans. Wenn er die Fahrt fortsetzte, ging er natrlich das Risiko ein, entdeckt zu werden; aber er fragte sich, wie gro das Risiko eigentlich war. Dagegen sprach seine Abspannung, die ihm noch vom Tage vorher anhing. Er war bereits jetzt erschpft und sehnte sich nach Schlaf.
In diesem Moment geschah es. Hinter ihm tauchte, wie durch Zauberkraft, ein rotes Blinklicht auf. Eine Sirene gellte gebieterisch.
Es war genau das Ereignis, auf das er sich in den letzten paar Stunden gefat gemacht hatte. Als es nicht eintrat, hatte er sich seine Befrchtungen aus dem Kopf geschlagen. Nun war der Schock doppelt gro.
Instinktiv trat er das Gaspedal ganz durch. Wie ein prchtig angetriebener Pfeil schnellte der Jaguar vorwrts. Die Tachometernadel schlug krftig aus... auf 70, 80, 85 Meilen. Bei neunzig mute Ogilvie mit dem Tempo heruntergehen, weil eine Kurve kam. Das rote Blinklicht fuhr dicht auf. Die Sirene, die zeitweilig verstummt war, gellte wieder. Dann scherte das rote Licht nach links aus, als der Fahrer zum berholen ansetzte.
Ogilvie wute, da es sinnlos war. Selbst wenn er jetzt seinen Verfolger abhngte, konnte er anderen, die weiter vorn auf ihn lauerten, nicht ausweichen. Resigniert nahm er den Fu vom Gas.
Als das andere Fahrzeug an ihm vorbeisauste, erhaschte er flchtig das Bild einer langgestreckten hellfarbigen Karosserie, einen matten Lichtschein im Innern und eine Gestalt, die sich ber eine andere beugte. Dann war die Ambulanz verschwunden, und das rote Licht verlor sich in der Ferne.
Der Zwischenfall hatte ihn erschttert und von seiner krperlichen Erschpfung berzeugt. Er entschied, da er, ungeachtet des Risikos, bei der ersten Gelegenheit von der Strae abbiegen und sich fr den Tag einen Schlupfwinkel suchen mute. Er hatte Macon, eine kleine Gemeinde in Mississippi, bereits hinter sich. Am Himmel zeigten sich die ersten hellen Streifen; der Morgen dmmerte. Er stoppte, um eine Landkarte zu Rate zu ziehen, und schwenkte kurz danach von der Autostrae ab in einen Komplex von Nebenstraen.
Bald wurde die Strae schlechter und ging schlielich in einen ausgefahrenen Feldweg ber. Es wurde nun sehr schnell hell. Ogilvie kletterte aus dem Wagen und nahm die Umgebung in Augenschein.
Die Landschaft war sprlich bewaldet und de; menschliche Behausungen waren nicht zu sehen. Die nchste Hauptverkehrsstrae war ber eine Meile entfernt. Unmittelbar vor ihm erhob sich eine Gruppe von Bumen. Ogilvie stellte zu Fu Erkundungen an und entdeckte, da der Feldweg zwischen Bumen endete.
Der fette Mann grunzte zufrieden. Er kehrte zum Jaguar zurck und fuhr behutsam vorwrts, bis der Wagen unter dem Blattwerk verborgen war. Er machte mehrere Stichproben, bis er sich vergewissert hatte, da man den Wagen nur aus allernchster Nhe hinter dem Laub zu sehen vermochte. Dann kletterte er auf den Rcksitz und schlief.
4
Als er kurz vor acht Uhr erwachte, wunderte sich Warren Trent, warum ihm so froh zumute war. Nach einigen Minuten fiel ihm der Grund wieder ein: Heute morgen wrde er den Handel mit der Journeymen's Union, den er gestern eingeleitet hatte, zum Abschlu bringen. Indem er Druck von auen, dsteren Voraussagen und den mannigfaltigsten Hindernissen Trotz bot, hatte er das St. Gregory - kurz vor Ablauf der Gnadenfrist - davor bewahrt, vom O'Keefe-Hotelkonzern verschlungen zu werden. Es war ein persnlicher Triumph. Den Gedanken, da das seltsame Bndnis zwischen ihm und der Gewerkschaft spter sogar noch grere Probleme aufwerfen knnte, schob er beiseite. Darber wrde er sich den Kopf zerbrechen, wenn es soweit war; jetzt kam es vor allem darauf an, sich die unmittelbar bevorstehende Gefahr vom Hals zu schaffen.
Er stand auf und betrachtete die Stadt von einem Fenster seiner im obersten Stockwerk gelegenen Suite. Drauen zog wieder ein prachtvoller Tag herauf; die bereits ziemlich hochstehende Sonne strahlte von einem nahezu wolkenlosen Himmel herab.
Beim Duschen und danach, als er sich von Aloysius Royce rasieren lie, summte er leise vor sich hin. Die offenkundige gute Laune seines Arbeitgebers war immerhin so ungewhnlich, da Royce erstaunt die Brauen hochzog, aber Warren Trent -der so kurz nach dem Aufstehen nicht in Plauderstimmung war - brachte keine Erklrung vor.
Sobald er angekleidet war, rief er vom Wohnzimmer aus sofort Royall Edwards an. Der Rechnungsprfer, den eine Telefonistin in seinen eigenen vier Wnden ausfindig machte, lie durchblicken, da er die ganze Nacht gearbeitet und da ihn der Anrufer seines Arbeitgebers mitten in einem wohlverdienten Frhstck gestrt habe. Den grollenden Unterton ignorierend, suchte Warren Trent herauszubekommen, wie die Reaktion der zwei Wirtschaftsprfer whrend der Nacht gewesen wre. Laut Edwards Bericht hatten die Besucher, obwohl sie ber die gegenwrtige finanzielle Krise des Hotels unterrichtet waren, sonst nichts Auergewhnliches zutage gefrdert und schienen von Edwards Ausknften auf ihre Fragen befriedigt zu sein.
Beruhigt berlie Warren Trent den Rechnungsprfer seinem Frhstck. Vielleicht wurde in eben diesem Moment, dachte er, ein Bericht, der seine eigene Darstellung vom Stand der Dinge erhrtete, telefonisch nach Washington durchgegeben. Vermutlich wrde er sehr bald von seinem Verhandlungspartner hren.
Unmittelbar darauf lutete das Telefon.