Îòåëü / Hotel Õåéëè Àðòóð
»Ach, hren Sie auf damit!« Albert Wells grinste breit. »Sie sind Bailey. Das Trinkgeld hab' ich Barnum gegeben.«
Der Blick des Dieners flackerte unruhig zu Christine hinber. Als er sie erkannte, glitt ein Anflug von Besorgnis ber sein Gesicht. Dann grinste er schafsmig. »Ja, Sir.« Er ging hinaus und schlo die Tr hinter sich.
»Was, um alles in der Welt, hatte das zu bedeuten?«
»Kennen Sie den Barnum-und-Bailey-Trick denn nicht?« Christine schttelte den Kopf.
»Die Sache ist ganz einfach, Miss. Hoteldiener arbeiten paarweise. Einer holt den Anzug ab, der andere bringt ihn zurck. Auf diese Art kassieren sie meistens zweimal. Danach legen sie die Trinkgelder zusammen und verteilen sie gleichmig unter sich.«
»Das leuchtet mir ein«, sagte Christine. »Aber ich wre nie von selbst drauf gekommen.«
»So geht's auch den meisten anderen, und deshalb zahlen sie fr ein und dieselbe Dienstleistung doppelt.« Albert Wells rieb sich versonnen seine schnabelfrmige Nase. »Fr mich ist's eine Art Spiel; es reizt mich, immer wieder festzustellen, in wie vielen Hotels der Trick angewandt wird.«
Sie lachte. »Und wie fanden Sie es heraus?«
»Ein Hoteldiener erzhlte es mir, als er merkte, da ich ihm hinter die Schliche gekommen war. Er erzhlte mir auch noch was anderes. Sie wissen wohl, da man in Hotels mit Selbstwhldienst von manchen Apparaten aus die Zimmer direkt anrufen kann. Folglich ruft Barnum oder Bailey - welcher von den beiden gerade an der Reihe ist - die Nummer an, fr die er eine Lieferung hat. Meldet sich niemand, wartet er und ruft spter noch mal an. Ist der Gast da, hngt er auf, ohne was zu sagen. Ein paar Minuten spter liefert er den Anzug ab und kassiert ein zweites Trinkgeld.«
»Sie geben nicht gern Trinkgelder, Mr. Wells?«
»Ach, das ist es gar nicht mal so sehr, Miss. Trinkgelder sind wie der Tod - man kommt nicht um sie herum. Welchen Zweck htte es also, sich deswegen aufzuregen? brigens hab' ich Barnum heut morgen ein grozgiges Trinkgeld gegeben -gewissermaen als Vorauszahlung fr den Spa, den ich mir eben mit Bailey gemacht hab'. Ich lass' mich blo nicht gern fr dumm verkaufen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, da Ihnen das oft passiert.« Christine begann einzusehen, da Albert Wells durchaus nicht so wehrlos war, wie sie ursprnglich vermutet hatte. Sie fand ihn jedoch noch genauso liebenswert wie immer.
»Das kann schon sein«, meinte er. »Aber ich will Ihnen eins sagen, Miss. Hier in dem Hotel gibt's mehr von diesem Hokuspokus als in den meisten anderen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil ich meine Augen offenhalte und mit den Leuten rede. Sie erzhlen mir eine Menge Dinge, die sie Ihnen vielleicht nicht erzhlen wrden.«
»Was fr Dinge?«
»Nun, die meisten bilden sich ein, sie knnen sich so ziemlich alles erlauben. Schuld daran ist, schtz' ich, da es bei Ihnen mit der Geschftsfhrung nicht klappt. Sie knnte gut sein, ist es aber nicht, und darum steckt Ihr Mr. Trent auch im Moment in der Klemme.«
»Es ist direkt unheimlich«, sagte Christine. »Peter McDermott hat mir genau dasselbe gesagt - und fast in den gleichen Worten.« Ihre Augen erforschten das Gesicht des kleinen Mannes. Trotz seines Mangels an Welterfahrenheit besa er offenbar einen ursprnglichen Instinkt fr die Wirklichkeit.
Albert Wells nickte anerkennend. »Also, das ist ein kluger junger Mann. Wir hatten gestern ein Gesprch.«
»Peter war hier?« fragte sie berrascht.
»Ganz recht.«
»Das wute ich nicht.« Aber es sah ihm hnlich, dachte sie, eine Angelegenheit weiterzuverfolgen, an der er persnlich beteiligt war. Ihr war schon vorher seine Fhigkeit aufgefallen, im groen Mastab zu denken, ohne dabei jedoch die Details zu vernachlssigen.
»Werden Sie ihn heiraten, Miss?«
Die abrupte Frage brachte sie aus der Fassung. »Wie kommen Sie blo auf die Idee?« protestierte sie, sprte jedoch zu ihrer Bestrzung, da sie errtete.
Der kleine Mann schmunzelte. Zuweilen hatte er das Gebaren eines mutwilligen Gnoms, dachte Christine.
»Ich hab' mir so meinen Reim gemacht - aus der Art, wie Sie eben seinen Namen ausgesprochen haben. Auerdem hab' ich mir gedacht, da Sie sich oft ber den Weg laufen mssen, wo Sie doch beide hier arbeiten; und wenn der junge Mann so viel Verstand hat, wie ich glaube, dann wird er rasch begreifen, da er nicht weiter zu suchen braucht.«
»Mr. Wells, Sie sind abscheulich! Sie lesen in den Gedanken der Leute und bringen Sie in grliche Verlegenheit.« Aber ihr warmes Lcheln widerlegte den Vorwurf. »Und bitte, nennen Sie mich nicht mehr >Miss<. Ich heie Christine.«
»Das ist ein bedeutsamer Name fr mich«, sagte er still.
»Meine Frau hie auch so.«
»Hie?«
Er nickte. »Sie ist tot, Christine. Es ist so lange her, da mir die Zeiten, die wir miteinander verlebten, manchmal wie ein Traum vorkommen; die guten und die schlechten, denn wir hatten eine Menge von beiden. Aber dann und wann kommt's mir wieder so vor, als wre es erst gestern gewesen, und dann bin ich des vielen Alleinseins mde. Wir hatten keine Kinder.« Er hielt inne, mit einem grbelnden Ausdruck in den Augen. »Man wei nie, wie viel man mit jemandem gemeinsam hat, bis die Gemeinsamkeit endet. Sie und Ihr junger Mann sollten jede Minute festhalten. Verschwenden Sie keine Zeit; man kriegt sie nicht zurck.«
Sie lachte. »Aber ich sag' Ihnen doch, er ist nicht mein junger Mann. Wenigstens jetzt noch nicht.«
»Wenn Sie die Dinge richtig hinbiegen, wird er's sein.«
»Vielleicht.« Ihr Blick senkte sich auf das halbfertige Zusammensetzspiel. Sie sagte langsam: »Ich mchte wissen, ob es - wie Sie sagen - einen Schlssel zu allem gibt und ob man, wenn man ihn findet, wirklich klarsieht oder blo glaubt und hofft.« Und pltzlich hatte sie, fast ohne es zu merken, begonnen, dem kleinen Mann ihr Herz auszuschtten, ihm von der Tragdie in Wisconsin zu erzhlen, ihrer Einsamkeit, dem Aufbruch nach New Orleans, den nachfolgenden Jahren, in denen sie sich mit ihrem Schicksal abfand, und von der neuen Aussicht auf ein erflltes, fruchtbares Leben. Sie vertraute ihm auch ihre Enttuschung darber an, da ihre Verabredung fr den Abend in die Brche gegangen war.
Am Ende nickte Albert Wells weise. »Meistens kommt alles von allein ins Lot. Aber manchmal mu man ein bichen nachhelfen.«
»Irgendwelche Vorschlge?« fragte sie leichthin.
Er schttelte den Kopf. »Als Frau kennen Sie sich da viel besser aus als ich. Ich mchte blo eins sagen: Nach allem, was heute passiert ist, wrde es mich nicht wundern, wenn der junge Mann Sie fr morgen abend einldt.«
Christine lchelte. »Das wre mglich.«
»Dann verabreden Sie sich rasch mit jemand anderem. Er wird Sie mehr schtzen, wenn Sie ihn einen Tag lang zappeln lassen.«
»Da mte ich mir irgendeine Ausrede ausdenken.«
»Das brauchen Sie nicht. Ich wollte Sie sowieso fragen, Miss... verzeihen Sie, Christine, ob Sie Lust haben, mit mir zusammen zu essen. E soll eine Art Dankeschn sein fr neulich. Falls Sie die Gesellschaft eines alten Mannes ertragen knnen, springe ich gern als Ersatzmann ein.«
»Ich freue mich schrecklich ber die Einladung, Mr. Wells«, antwortete Christine, »und ich verspreche Ihnen, da Sie fr mich durchaus kein x-beliebiger Ersatzmann sind.«
»Fein!« Der kleine Mann strahlte. »Ich schtze, wir bleiben wohl am besten hier im Hotel. Ich hab' dem Doktor versprochen, in den nchsten paar Tagen nicht ins Freie zu gehen.«
Christine zgerte kurz. Sie fragte sich, ob Albert Wells wute, wie hoch die Abendpreise im Hauptrestaurant des St. Gregory waren. Nachdem er die Pflegerin heimgeschickt hatte, wnschte sie nicht, ihm neue Ausgaben aufzubrden. Dann fiel ihr pltzlich ein Weg ein, auf dem sich das vermeiden lie.
Heiter versicherte sie ihm: »Das mit dem Hotel ist eine gute Idee. Aber es ist schlielich eine besondere Gelegenheit, und da mssen Sie mir schon viel Zeit lassen, da ich nach Haus gehen und mich wirklich schn machen kann. Sagen wir acht Uhr -morgen abend.«
In der vierzehnten Etage, nachdem sie sich von Albert Wells verabschiedet hatte, merkte Christine, da Fahrstuhl Nummer vier auer Betrieb war. An den Schiebetren und in der Kabine wurden Reparaturen vorgenommen.
Sie fuhr in einem anderen Lift in den ersten Stock hinunter.
10
Dr. Ingram, der Prsident des Zahnrztekongresses, funkelte den Besucher in seiner Suite im siebten Stockwerk grimmig an. »McDermott, falls Sie in der Absicht hierhergekommen sind, l auf die Wogen zu gieen, dann kann ich nur sagen, Sie verschwenden Ihre Zeit. Ist das der Grund fr Ihr Kommen?«
»Ich frchte ja«, erwiderte Peter.
»Na, Sie lgen wenigstens nicht«, gab der ltere Mann widerwillig zu.
»Warum sollte ich auch? Ich bin ein Angestellter des Hotels, Dr. Ingram. Solange ich hier arbeite, bin ich verpflichtet, mein Bestes zu tun.«
»Haben Sie auch fr Dr. Nicholas Ihr Bestes getan?«
»Nein, Sir. Zufllig glaube ich, da wir gar nichts Schlimmeres htten tun knnen. Die Tatsache, da ich nicht befugt bin, eine feststehende Anordnung zu ndern, macht es nicht besser.«
Der Prsident des Zahnrztekongresses schnaubte. »Wre es Ihnen wirklich ernst, so htten Sie auch den Schneid, hier zu kndigen und sich woanders eine Stellung zu suchen. In einem Hause, wo das Gehalt vielleicht niedriger, aber das Gefhl fr Anstand besser entwickelt ist.«
Peter errtete und unterdrckte eine scharfe Erwiderung. Er sagte sich mahnend, da er Dr. Ingram am Vormittag seiner aufrechten Haltung wegen bewundert und da sich seitdem nichts gendert hatte.
»Nun?« Dr. Ingram musterte Peter mit wachsamem unnachgiebigem Blick.
»Angenommen, ich wrde kndigen, so wrde mein Nachfolger vielleicht mit dem Zustand der Dinge vllig zufrieden sein. Das zumindest trifft auf mich nicht zu. Ich habe vor, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um die Vorurteile und Verbote zu beseitigen.«
»Verbote! Vorurteile! Fauler Zauber!« Des Doktors rosiges Gesicht wurde noch rter. »Diese Argumente hab' ich schon zu meiner Zeit gehrt! Sie machen mich krank! Verdammte Ausreden, die der menschlichen Rasse nicht wrdig sind!«
Beide Mnner schwiegen.
»Na schn.« Dr. Ingram senkte die Stimme; sein erster rger war verraucht. »Sie sind wenigstens nicht so fanatisch wie die anderen, McDermott. Sie haben Ihre eigenen Probleme, und mein Gezeter bringt uns auch nicht weiter. Aber begreifen Sie denn nicht, Mann, da meist gerade die verdammte Superklugheit von Leuten wie Sie und ich mit an der Behandlung schuld ist, die Jim Nicholas heute zuteil wurde.«
»Doch, Doktor, ich sehe das ein. Aber ich glaube, die ganze Sache ist nicht ganz so einfach, wie Sie sie machen.«
»Das wei ich selbst«, knurrte der ltere Mann. »Sie haben gehrt, was ich Nicholas sagte. Ich sagte, falls man sich nicht bei ihm entschuldigt und ihm ein Zimmer gibt, wrde ich den gesamten Kongre aus dem Hotel verlegen.«
Peter sagte vorsichtig: »Ist eine solche Tagung - mit ihren medizinischen Diskussionen, Vortrgen und dergleichen - nicht fr sehr viele Menschen von Nutzen?«
»Natrlich.«
»Wem wrde es dann also helfen? Ich meine, falls Sie das Ganze abblasen, wer wrde davon profitieren? Dr. Nicholas doch gewi nicht...« Er verstummte, weil er die wieder zunehmende Feindseligkeit des anderen sprte.
»Versuchen Sie nicht, mich einzuwickeln, McDermott«, fauchte Dr. Ingram. »Und trauen Sie mir wenigstens gengend Intelligenz zu, um selbst auf diese Schlufolgerung zu kommen.«
»Tut mir leid.«
»Es gibt immer Grnde, um etwas nicht zu tun; und sehr oft sind es ausgezeichnete Grnde. Deshalb sind so wenige Menschen bereit, fr Ihre berzeugung einzutreten, oder fr das, was sie als ihre berzeugung ausgeben. In zwei Stunden, wenn sie hren, was ich vorhabe, werden mir einige meiner wohlmeinenden Kollegen mit den gleichen Argumenten kommen.« Der alte Mann verschnaufte und fate Peter fest ins Auge. »Jetzt mchte ich Sie was fragen. Heute morgen gaben Sie zu, da Sie sich schmten, weil Sie Jim Nicholas abweisen muten. Falls Sie an meiner Stelle wren, hier und jetzt, was wrden Sie tun?«
»Doktor, das ist ein hypothetischer -«
»Geschenkt! Ich habe Ihnen eine einfache, direkte Frage gestellt.«
Peter berlegte. Soweit es das Hotel betraf, wrde eine aufrichtige Antwort vermutlich kaum etwas am Endergebnis ndern. Er sagte: »Ich glaube, ich wrde mich genauso verhalten wie Sie - ausziehen.«
»Nanu!« Der Prsident des Zahnrztekongresses trat einen Schritt zurck und betrachtete ihn abschtzend. »Unter all dem beruflichen Firnis verbirgt sich ein ehrlicher Mann.«
»Der vielleicht ziemlich bald auf der Strae liegt.«
»Halten Sie an Ihrem schwarzen Anzug fest, Sohn! Damit knnen Sie einen Job als Gehilfe des Leichenbestatters kriegen.« Dr. Ingram kicherte zum erstenmal. »Trotz allem mag ich Sie, McDermott. Brauchen Sie vielleicht zufllig eine Zahnbehandlung?«
Peter schttelte den Kopf. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, wrde ich lieber mglichst bald ber Ihre Plne informiert werden.« Sobald der Auszug der Zahnrzte feststand, wrde es eine Menge zu tun geben. Fr das Hotel war es ein katastrophaler Verlust, wie Royall Edwards beim Lunch betont hatte. Aber wenigstens konnte man einige Vorbereitungen fr morgen und bermorgen auf der Stelle abstoppen.«
Dr. Ingram sagte lebhaft: »Sie waren ehrlich mit mir; also will ich's mit Ihnen auch sein. Ich habe fr fnf Uhr nachmittag eine Sondersitzung einberufen. Bis dahin werden die meisten Mitglieder des Vorstands eingetroffen sein.«
»Wir werden zweifellos in Verbindung bleiben.«
Der Prsident des Zahnrztekongresses nickte grimmig wie zu Beginn der Unterredung. »Lassen Sie sich von der kurzen Waffenruhe nicht tuschen, McDermott. Nichts hat sich seit heute morgen gendert. Ich will euch noch immer da treffen, wo es am meisten weh tut.«
berraschenderweise nahm Warren Trent die Neuigkeit, da der Kongre amerikanischer Zahnrzte die Tagung absagen und das Hotel unter Protest verlassen wollte, beinahe gleichgltig zur Kenntnis.
Peter McDermott hatte sich unverzglich in den Verwaltungstrakt im Zwischengescho zurckbegeben. Christine hatte ihm - seiner Meinung nach ein wenig khl -mitgeteilt, da der Hotelbesitzer in seinem Bro sei.
Warren Trent wirkte, im Gegensatz zu frheren Gesprchen, viel entspannter. Er sa behaglich hinter seinem schwarzen Schreibtisch mit der Marmorplatte im komfortablen Direktionsbro und zeigte nicht die mindeste Spur von Gereiztheit wie am Tage zuvor. Whrend er sich Peters Bericht anhrte, zuckte gelegentlich ein leichtes Lcheln um seine Lippen, das aber allem Anschein nach mit den unmittelbar bevorstehenden Ereignissen nichts zu tun hatte. Fr Peter sah es so aus, als freue sich sein Arbeitgeber insgeheim an einem privaten, nur ihm bekannten Scherz.
Als Peter geendet hatte, schttelte der otelbesitzer entschieden den Kopf. »Sie werden nicht gehen. Sie werden sich den Mund fulig reden, und das ist alles.«
»Dr. Ingram schien es ernst zu meinen.«
»Auf ihn mag das zutreffen, aber nicht auf die anderen. Sie sagen, heute nachmittag ist eine Sitzung; ich kann Ihnen sagen, was passieren wird. Man wird eine Weile debattieren; dann wird ein Komitee gebildet, um eine Resolution zu entwerfen. Spter -wahrscheinlich morgen - wird das Komitee dem Vorstand Bericht erstatten. Vielleicht nimmt er den Bericht an, vielleicht ndert er ihn ab; auf jeden Fall gibt es wieder eine lange Diskussion. Noch spter - sagen wir bermorgen - wird die Resolution smtlichen Tagungsteilnehmern vorgelegt, und die mssen sich natrlich auch dazu uern. Ich kenne sie genau -die erhabene demokratische Prozedur. Sie werden noch immer reden, wenn die Tagung vorbei ist.«
»Ich vermute, Sie knnten damit recht haben«, sagte Peter. »Aber ich finde, es ist ein ziemlich ungesunder Standpunkt.«
Seine Worte waren verwegen, und er machte sich auf eine explosive Antwort gefat. Sie erfolgte nicht. Statt dessen knurrte Warren Trent: »Ich denke praktisch, das ist alles. Die Leute gackern ber sogenannte Prinzipien, bis ihnen die Zunge aus dem Mund hngt. Aber sie gehen Unannehmlichkeiten aus dem Wege, soweit es mglich ist.«
Peter sagte hartnckig: »Trotzdem wre es vielleicht einfacher, wenn wir unsere Politik nderten. Ich kann nicht glauben, da Dr. Nicholas, falls wir ihn aufgenommen htten, das Hotel unterminiert htte.«
»Er vielleicht nicht. Aber das Gesindel, das ihm folgen wrde. Dann sen wir in der Tinte.«
»Ich hatte gedacht, wir sen ohnehin drin.« Peter war sich klar darber, da er sich am Rande eines Abgrunds bewegte. Er fragte sich, wie weit er gehen knnte und warum - gerade heute - sein Arbeitgeber bei so guter Laune war.
Warren Trents aristokratische Zge verzerrten sich ironisch.
»Wir mgen eine Zeitlang in Schwierigkeiten gewesen sein. Aber in ein oder zwei Tagen ist es damit vorbei.« Er fgte unvermittelt hinzu: »Ist Curtis O'Keefe noch im Hotel?«
»Soviel ich wei, ja. Ich htte es gehrt, wenn er abgereist wre.«
»Gut!« Wieder das verstohlene Lcheln. »Ich habe eine Information, die Sie interessieren drfte. Morgen werde ich O'Keefe und seinem gesamten Hotelkonzern sagen, sie knnten von mir aus in den See Pontchartrain springen.«
11
Von seinem gnstigen Ausguck am Stehpult des Chefportiers beobachtete Herbie Chandler verstohlen, wie die vier jungen Mnner die Halle des St. Gregory betraten. Es war einige Minuten vor vier.
Er erkannte Lyle Dumaire und Stanley Dixon wieder; Dixon machte ein finsteres Gesicht, als er an der Spitze der Gruppe zum Lift hinbermarschierte. Wenige Sekunden spter waren sie aus seinem Blickfeld verschwunden.
Gestern, am Telefon, hatte Dixon Herbie versichert, da er den Anteil des Chefportiers an den nchtlichen Ereignissen fr sich behalten wrde. Aber Dixon war nur einer von vieren, sagte sich Herbie beklommen. Wie die anderen - und vielleicht auch Dixon - auf ein strenges Verhr reagieren wrden, das stand auf einem anderen Blatt.
Der Chefportier versank in dumpfes Brten; in den letzten vierundzwanzig Stunden war seine Besorgnis stndig gewachsen.
Im Zwischengescho, wo die vier Jugendlichen aus dem Lift stiegen, bernahm Stanley Dixon wieder die Fhrung. Vor einer paneelierten Tr mit der schwach erleuchteten Aufschrift »Verwaltungsbros« machten sie halt, und Dixon wiederholte seine frhere Warnung: »Denkt dran! - berlat das Reden mir.«
Flora Yates wies sie in Peter McDermotts Bro. Khl aufblickend, forderte er sie mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen, und fragte: »Wer von Ihnen ist Dixon?«
»Ich.«
»Dumaire?«
Weniger selbstsicher nickte Lyle Dumaire.
»Die Namen der zwei anderen habe ich nicht.«
»So ein Pech«, sagte Dixon. »Htten wir's vorher gewut, dann htten wir alle Visitenkarten mitgebracht.«
Der dritte Jugendliche warf ein: »Ich heie Gladwin. Das ist Joe Waloski.« Dixon sah ihn erbost an.
»Sie alle sind zweifellos darber im Bilde«, stellte Peter fest, »da Miss Marsha Preyscott mich ber die Vorgnge in der Montagnacht informiert hat. Wenn Sie wollen, bin ich bereit, mir auch Ihre Version anzuhren.«
Dixon ergriff hastig das Wort, bevor einer der anderen sich einmischen konnte. »Die Verabredung war Ihre Idee, nicht unsere. Wir haben Ihnen nichts zu sagen. Falls Sie uns was zu sagen haben, dann schieen Sie los.«
Peters Gesichtsmuskeln spannten sich. Er unterdrckte mhsam seine Gereiztheit.
»Schn. Dann schlage ich vor, da wir uns zuerst mit einer weniger wichtigen Angelegenheit befassen.« Er bltterte in Papieren und wandte sich an Dixon. »Suite 1126-7 war auf Ihren Namen eingetragen. Als Sie das Weite suchten, vergaen Sie, sich ordnungsgem abzumelden, so da ich das fr Sie erledigen mute. Ich habe hier eine unbezahlte Rechnung ber fnfundsiebzig Dollar und einige Cent und weiterhin eine Rechnung ber einhundertzehn Dollar fr den in der Suite angerichteten Schaden.«
Der junge Mann, der sich als Gladwin vorgestellt hatte, pfiff leise.
»Wir bezahlen die fnfundsiebzig Dollar«, sagte Dixon, »mehr nicht.«
»Falls Sie die Schadenersatzforderung anfechten wollen, steht Ihnen das frei«, erklrte Peter. »Aber ich mchte Ihnen gleich sagen, da die Sache fr uns damit nicht erledigt ist. Notfalls strengen wir eine Klage an...«
»Hr zu, Stan...« Das war der vierte Jugendliche, Joe Waloski. Dixon bedeutete ihm, zu schweigen.
Lyle Dumaire neben ihm rutschte unruhig auf seinem Stuhl nach vorn. »Stan«, sagte er leise, »was auch passiert, auf jeden Fall knnen sie eine Menge Stunk machen. Wenn's sein mu, bernimmt jeder von uns ein Viertel.« Er sah Peter an. »Falls wir nicht imstande sind, die hundertzehn Dollar auf einmal zu zahlen, knnen wir das dann ratenweise abtragen?«
»Gewi.« Es bestand kein Grund, fand Peter, den vier Jungen nicht das im Hotel bliche Entgegenkommen zu erweisen. »Einer von Ihnen oder Sie alle knnen unseren Kreditmanager aufsuchen und die Sache mit ihm regeln.« Er warf einen Blick in die Runde. »Sind Sie damit einverstanden?«
Das Quartett nickte.
»Gut. Bleibt noch der Fall der versuchten Vergewaltigung -vier sogenannte Mnner gegen ein Mdchen.« Peter gab sich keine Mhe, seine Verachtung zu verbergen.
Waloski und Gladwin errteten. Lyle Dumaire wich Peters Blick betreten aus. Nur Dixon behielt seine Selbstsicherheit. »Das ist Ihre Version. Knnte sein, da unsere anders klingt.«
»Ich sagte schon, da ich bereit bin, mir Ihre Version anzuhren.«
»Blech!«
»Dann bleibt mir nichts anders brig, als die Darstellung Miss Preyscotts zu akzeptieren.«
Dixon grinste anzglich. »Wren Sie nicht gern dabei gewesen, Bester? Oder vielleicht haben Sie sich danach schadlos gehalten.«
»Beherrsch dich, Stan«, murmelte Waloski.
Peter umklammerte krampfhaft die Armlehnen seines Sessels. Er kmpfte gegen den Impuls an, um den Schreibtisch herumzustrmen und dem Jungen vor ihm ins hhnisch grinsende Gesicht zu schlagen. Aber er wute, da er Dixon damit einen Vorteil verschaffen wrde, auf den dieser kaltbltig hinarbeitete. Er durfte sich nicht zu einem Wutausbruch verleiten lassen.
»Ich nehme an«, sagte er eisig, »sie sind sich klar darber, da Strafanklage gegen Sie erhoben werden kann.«
»Falls jemand die Absicht gehabt htte«, konterte Dixon, »wre das schon lngst geschehen. Verschonen Sie uns also mit dem Quatsch.«
»Wren Sie bereit, diese uerung vor Mr. Mark Preyscott zu wiederholen? Wenn er aus Rom zurck ist, nachdem er erfahren hat, was seiner Tochter zugestoen ist?«
Lyle Dumaire blickte rasch und erschrocken auf. Zum ersten Male flackerten Dixons Augen unruhig.
»Wird er's erfahren?« erkundigte sich Gladwin ngstlich.
»Halt die Klappe!« befahl Dixon. »Das ist ein Trick. Fall blo nicht drau rein!« Aber seine Stimme klang weniger zuversichtlich als zuvor.
»Sie knnen selbst entscheiden, ob es ein Trick ist oder nicht.« Peter zog eine Schreibtischschublade auf und nahm eine Mappe heraus, die er aufschlug. »Ich habe hier einen von mir verfaten und unterzeichneten Bericht ber das, was Miss Preyscott mir erzhlte, und das was ich selbst Montag nacht bei der Ankunft in der Suite 1126-7 beobachtete. Die Unterschrift von Miss Preyscott fehlt noch, kann jedoch jederzeit eingeholt werden, zusammen mit weiteren Details, die ihr wichtig erscheinen. Ferner habe ich hier noch eine schriftliche Erklrung von Aloysius Royce, dem Hotelangestellten, der von Ihnen angefallen wurde; er besttigt meinen Bericht und schildert, was unmittelbar nach seinem Eintreffen passierte.«
Der Gedanke, sich von Royce eine schriftliche Erklrung geben zu lassen, war Peter am vergangenen Abend gekommen. Auf ein telefonisches Ansuchen hin hatte sie der junge Neger diesen Morgen zeitig abgeliefert. Das sauber getippte Dokument war klar und sorgfltig abgefat und spiegelte Royces juristische Schulung wider. Dennoch hatte Aloysius Royce seine Warnung wiederholt. »Ich kann Ihnen nur nochmals sagen, kein Gericht in Louisiana lt in einem Fall von Vergewaltigung unter Weien das Zeugnis eines Niggerjungen gelten.« Obwohl verrgert ber seine Widerborstigkeit, erwiderte ihm Peter: »Ich bin sicher, da die Sache nie vor Gericht kommt, aber ich brauche die Munition.«
Auch Sam Jakubiec hatte sich als hilfreich erwiesen. Auf Peters Bitte hin hatte er unter der Hand Ausknfte ber Stanley Dixon und Lyle Dumaire eingezogen. Er berichtete: »Dumaires Vater ist, wie Sie wissen, der Bankprsident; Dixons Vater ist Autohndler - gutes Geschft, groes Haus. Beide Jungen genieen anscheinend viel Freiheit - vterliche Nachsicht, schtz' ich - und verfgen ber ziemlich hohe, aber nicht unbegrenzte Geldbetrge. Nach allem, was ich hre, wrde keiner der beiden Vter es tragisch nehmen, wenn ihre Shne mit ein oder zwei Mdchen ins Bett gehen; hchstwahrscheinlich wrden sie sagen: >Hab's genauso gemacht, als ich jung war.< Aber versuchte Vergewaltigung ist etwas anderes, namentlich, wenn's um die kleine Preyscott geht. Mark Preyscott ist ein einflureicher Mann. Er und die beiden anderen bewegen sich in den gleichen Kreisen, obwohl Preyscott gesellschaftlich vermutlich hher rangiert. Falls Mark Preyscott sich Dixon und Dumaire senior vorknpft und ihre Shne beschuldigt, seine Tochter vergewaltigt zu haben, dann wrde ganz bestimmt das Dach einstrzen, und das wissen die beiden Jungen.« Peter hatte sich bedankt und die Information sorgfltig aufbewahrt.
»All der Papierkram ist lange nicht soviel wert, wie Sie uns glauben machen wollen«, sagte Dixon. »Sie kamen erst danach; folglich beruht Ihr Bericht auf Hrensagen.«
»Das mag stimmen«, sagte Peter. »Ich bin kein Anwalt. Ich wrde meinem Bericht jedoch nicht jeden Wert absprechen.
Auerdem, ob Sie nun gewinnen oder verlieren, wenn das Gericht mit Ihnen fertig ist, werden Sie nicht gerade s riechen, und ich knnte mir vorstellen, da Ihre Familien Ihnen ganz schn zusetzen werden.« Der Blick, den Dixon und Dumaire wechselten, verriet ihm, da sein letzter Hieb gesessen hatte.
»Um Gottes willen! Mit dem Gericht wollen wir nichts zu tun haben«, sagte Gladwin beschwrend zu den anderen.
Lyle Dumaire fragte mrrisch: »Was werden Sie machen?«
»Vorausgesetzt, Sie arbeiten mit mir zusammen, werde ich gegen Sie nichts mehr unternehmen. Sollten Sie allerdings weiterhin Schwierigkeiten machen, werde ich noch heute Mr. Preyscott in Rom telegrafieren und diese Papiere seinen hiesigen Anwlten bergeben.«
»Was verstehen Sie unter »zusammenarbeiten?« erkundigte sich Dixon bellaunig.
»Da Sie hier und jetzt einen vollstndigen Bericht niederschreiben, ber das, was sich Montag nacht abspielte. Fgen Sie auch hinzu, was am frhen Abend geschah, ob jemand vom Hotelpersonal daran beteiligt war, und wer.«
»Den Teufel werden wir tun!« rief Dixon. »Sie knnen uns...«
Gladwin unterbrach ihn ungeduldig. »Hr auf damit, Stan!« Er fragte Peter: »Angenommen, wir schreiben die Erklrung. Was werden Sie mit ihr machen?«
»So gern ich einen anderen Gebrauch von ihr machen wrde, verspreche ich Ihnen, da ich sie niemandem zeigen werde auer einigen wenigen unmittelbar betroffenen Personen hier im Hotel.«
»Wie sollen wir wissen, da wir Ihnen trauen knnen?«
»Sie wissen es nicht. Sie werden es darauf ankommen lassen mssen.«
Schweigen senkte sich auf den Raum herab; die einzigen Laute waren das Knarren eines Stuhls und das gedmpfte Klappern einer Schreibmaschine im Vorzimmer.
Waloski sagte abrupt: »Ich riskier's. Geben Sie mir was zum Schreiben.«
»Mir auch.« Das war Gladwin.
Lyle Dumaire pflichtete mit einem klglichen Nicken bei.
Dixon runzelte grollend die Stirn und zuckte dann mit den Schultern. »Meinetwegen. Wenn alle so versessen aufs Schreiben sind! Ich mchte eine Feder mit breiter Spitze«, sagte er zu Peter. »Sie pat zu meinem Stil.«
Eine halbe Stunde spter las Peter McDermott noch einmal und grndlicher die vier Berichte durch, die er, bevor die Jungen abzogen, nur hastig berflogen hatte.
Die vier Versionen von den Ereignissen der Montagnacht stimmten in allen wesentlichen Fakten berein. Sie schlossen frhere Informationslcken und lieferten, laut Peters Anweisung, spezielle Hinweise auf das Hotelpersonal.
Herbie Chandler, der Chefportier, war sicher und unfehlbar festgenagelt.
12
Die ursprnglich nur vage Idee hatte in Keycase Milnes Kopf Gestalt angenommen.
Sein Instinkt sagte ihm, da seine Begegnung mit der Herzogin von Croydon in der Halle mehr als ein Zufall war. Es war ein Omen, wie er es sich deutlicher nicht wnschen konnte, und zeigte ihm den Pfad, an dessen Ende die funkelnden Juwelen der Herzogin lagen.
Zugegeben, der berhmte Croydon-Schmuck befand sich wohl kaum ganz in New Orleans. Bekanntermaen hatte die Herzogin auf ihren Reisen nur einen Teil ihres legendren Schatzes bei sich. Dennoch wrde die Beute hchstwahrscheinlich betrchtlich sein, und wenn auch einige Stcke sicher im Hoteltresor ruhten, so konnte man doch bestimmt damit rechnen, da andere griffbereit lagen.
Der Schlssel zum Problem lag, wie immer, in einem Schlssel zur Suite der Croydons. Keycase Milne machte sich systematisch daran, ihn zu erlangen.
Er fuhr mehrmals im Lift, aber jedesmal in einem anderen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Als er sich endlich mit einem Fahrstuhlfhrer allein in der Kabine befand, stellte er die scheinbar beilufige Frage: »Stimmt es, da der Herzog und die Herzogin von Croydon hier im Hotel wohnen?«
»Ja, Sir.«
»Das Hotel hat vermutlich spezielle Rumlichkeiten fr solche Gste.« Keycase lchelte freundlich. »Die sind was anderes gewhnt als unsereins.«
»Nun, Sir, der Herzog und die Herzogin haben die Prsidentensuite.«
»Oh, wirklich? In welcher Etage?«
»In der neunten.«
Im Geist hakte Keycase »Punkt eins« ab und stieg in seiner eigenen Etage, der achten, aus.
Punkt zwei war, die genaue Zimmernummer festzustellen. Das erwies sich als einfach. Eine Treppe hher und ein kurzes Stck den Korridor entlang! Ledergepolsterte Doppeltren mit goldenen Lilien kennzeichneten die Prsidentensuite. Keycase merkte sich die Nummer: 973-7.
Wieder ging es hinunter in die Halle, diesmal, um scheinbar ziellos am Empfangstisch vorbeizuschlendern. Ein schneller scharfer Spherblick zeigte, da die Nummer 973-7, wie die gewhnlichen Zimmer, ein konventionelles Postfach hatte. In dem Fach lag ein Schlssel.
Es wre ein Fehler gewesen, den Schlssel sofort zu verlangen. Keycase setzte sich, hielt die Augen offen und wartete. Die Vorsichtsmanahme erwies sich als klug.
Nach einigen Minuten der Beobachtung wurde ihm klar, da das Hotel alarmiert worden war. Im Vergleich zu der Unbekmmertheit, mit der die Schssel sonst ausgegeben wurden, lieen die Angestellten am Empfang heute Vorsicht walten. Gste wurden, bevor sie ihre Schlssel bekamen, nach dem Namen gefragt, und ihre Angaben an Hand einer Liste kontrolliert. Zweifellos war sein Coup vom frhen Morgen gemeldet und infolgedessen der Schutz verstrkt worden.
Ein kalter Angstschauer mahnte ihn an eine andere voraussehbare Konsequenz: auch die Polizei war vermutlich inzwischen alarmiert und wrde Keycase Milne innerhalb weniger Stunden unter seinem richtigen Namen suchen. Falls man der Morgenzeitung glauben konnte, beanspruchte zwar der Unfall mit der Fahrerflucht noch immer einen Groteil ihrer Aufmerksamkeit. Aber irgend jemand im Polizeiprsidium wrde trotzdem Zeit finden, den FBI per Fernschreiber zu benachrichtigen. Beim Gedanken an den entsetzlichen Preis, den er fr die nchste Verurteilung wrde zahlen mssen, war Keycase wieder versucht, auf Nummer Sicher zu gehen, auszuziehen und sich davonzumachen. Er war eine Beute der Unentschlossenheit. Dann, alle Zweifel energisch beiseite schiebend, trstete er sich mit der Erinnerung an das gnstige Omen von heute morgen.
Nach einiger Zeit trug sein Warten Frchte. Einer der Angestellten, ein junger Mann mit lichtem, gewelltem Haar, wirkte unsicher und gelegentlich nervs. Keycase schlo daraus, da er neu auf seinem Posten war.
Die Anwesenheit des jungen Mannes bot ihm eine Mglichkeit, die zu verwerten jedoch ein gewagtes und beschwerliches Unterfangen war. Andererseits war die gnstige Gelegenheit vielleicht auch ein Omen. Er beschlo sie auszuntzen und sich dabei einer Technik zu bedienen, die er schon frher angewandt hatte.
Die Vorbereitungen wrden wenigstens eine Stunde erfordern. Da es jetzt am spten Nachmittag war, muten sie vollendet sein, bevor der junge Mann seinen Dienst hinter sich hatte. Keycase eilte aus dem Hotel. Sein Ziel war das Kaufhaus Maison Blanche auf der Canal Street.
Mit seinem Geld sparsam umgehend, kaufte Keycase billige, aber umfangreiche Gegenstnde - zumeist Spielsachen - und wartete geduldig, whrend jeder einzelne in die charakteristische Maison-Blanche-Schachtel verpackt wurde. Endlich verlie er mit einem Arm voll Paketen, die er kaum zu tragen vermochte, den Laden. Er machte zustzlich in einem Blumengeschft halt, wo er seine Einkufe mit einer groen, bltenbedeckten Azalee krnte, und kehrte dann ins Hotel zurck.
Am Eingang von der Carondelet Street lief ein uniformierter Trsteher hastig herbei, um ihm die Tr weit aufzuhalten. Der Mann lchelte Keycase zu, der hinter seiner Last von Pckchen und der blhenden Topfpflanze kaum zu sehen war.
Drinnen im Hotel trdelte Keycase, dem Anschein nach eine Reihe von Schauksten betrachtend, in Wirklichkeit jedoch zwei Dinge abwartend. Das eine war eine Ansammlung vor dem Empfang, das zweite das Wiederauftauchen des jungen Mannes, den er vorher beobachtet hatte. Beides ereignete sich fast sofort.
Angespannt und herzklopfend steuerte Keycase auf den Empfang zu.
Er war der dritte in der Reihe, die sich vor dem jungen Mann gebildet hatte. Gleich danach stand nur noch eine Frau mittleren Alters vor Keycase, die ihren Schlssel bekam, nachdem sie ihren Namen genannt hatte. Im Begriff sich abzuwenden, fielen ihr noch einige Fragen ein. Der junge Mann zgerte mit den Antworten. Keycase sah mit Ungeduld, da sich die Gruppe von Menschen vor dem Empfangstisch lichtete. Einer der anderen Angestellten war bereits frei und blickte herber. Keycase mied sein Auge und schickte ein Stogebet gen Himmel, da die Beratung vor ihm enden mge.
Schlielich zog die Frau ab. Der junge Empfangsangestellte wandte sich Keycase zu und lchelte dann - wie der Trsteher -unwillkrlich ber den von der Azalee gekrnten unhandlichen Sto von Paketen.
In beiendem Ton benutzte Keycase eine vorher einstudierte Wendung. »Es ist bestimmt sehr komisch. Aber wenn's nicht zu viel Mhe macht, wrde ich gern den Schlssel von 973 haben.«
Der junge Mann lief rot an, sein Lcheln erstarb. »Gewi, Sir.« Verwirrt schwang er herum und griff nach dem Schlssel.
Beim Erwhne n der Zimmernummer hatte Keycase beobachtet, da einer der anderen Receptionisten einen Blick zu ihnen herber warf. Es war ein kritischer Moment. Die Nummer der Prsidentensuite mute gut bekannt sein, und das Eingreifen eines erfahrenen Angestellten konnte Entlarvung bedeuten. Keycase schwitzte.
»Ihr Name, Sir?«
Keycase fauchte: »Was ist das - ein Verhr?« Zugleich damit lie er wohlweislich zwei Pckchen fallen. Eines blieb auf dem Empfangstisch liegen, das andere plumpste hinter dem Tisch zu Boden. In uerster Verlegenheit hob der junge Angestellte beide auf. Sein lterer Kollege wandte sich mit einem nachsichtigen Lcheln ab.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir.«
»Schon gut.« Keycase nahm die zwei Pckchen in Empfang, rckte die anderen zurecht und streckte die Hand nach dem Schlssel aus.
Den Bruchteil einer Sekunde lang zgerte der junge Mann. Dann gewann das Bild, das Keycase hervorzurufen gehofft hatte, die Oberhand: das Bild eines erschpften, enttuschten Kufers, der seiner grotesken Last kaum Herr wurde; der Inbegriff der Respektabilitt, wie die vertraute Maison-Blanche-Verpackung bezeugte; ein bereits erboster Gast, den man nicht weiter reizen durfte...
Ehrerbietig hndigte der Empfangsangestellte den Schlssel von 973 aus.
Whrend Keycase gemchlich zu den Fahrsthlen hinberschlenderte, nahm der Betrieb vor dem Empfang wieder zu. Ein flchtiger Blick ber die Schulter zeigte ihm, da die Angestellten stark beschftigt waren. Gut! Die Wahrscheinlichkeit, da man den Vorfall besprach und womglich Verdacht schpfte, verringerte sich damit. Dennoch mute er den Schlssel mglichst schnell zurckbringen. Seine Abwesenheit konnte zu Fragen und Argwohn Anla geben, und das war besonders gefhrlich, da das Hotel bereits alarmiert war.
Zum Fahrstuhlfhrer sagte er: »Neun« - eine Vorsichtsmanahme fr den Fall, da jemand gehrt hatte, wie er den Schlssel fr ein Zimmer in der neunten Etage verlangte. Nach dem Aussteigen trdelte er, indem er Pakete zurechtschob, bis die Tren hinter ihm zugeglitten waren, und steuerte dann schleunigst die Personaltreppe an. Sein Zimmer befand sich nur ein Stockwerk tiefer. Auf einem Treppenabsatz, auf halbem Wege, stand eine Abfalltonne. Er stopfte die Azalee, die ihren Zweck erfllt hatte, hinein. Einige Sekunden spter war er in seinem Zimmer, der Nummer 830.
Die Pckchen verstaute er hastig in einem Wandschrank. Morgen wrde er sie in das Kaufhaus zurckbringen und sich das Geld rckerstatten lassen. Die Kosten waren zwar unbedeutend im Vergleich zu der Beute, die er zu erringen hoffte, aber bei der Abreise wren die Pakete eine hinderliche Last, und sie einfach im Hotel zurckzulassen, war zu riskant.
Mit schnellen Handgriffen ffnete er den Reiverschlu eines Koffers und nahm einen kleinen lederbezogenen Kasten heraus. Er enthielt eine Anzahl weier Karten, einige scharf gespitzte Bleistifte, Greifzirkel und ein Mikrometer. Keycase holte eine Karte heraus, legte den Schlssel der Prsidentensuite darauf und zeichnete seinen Umri sorgfltig nach. Dann ma er mit dem Mikrometer und den Greifzirkeln die Dicke des Schlssels und die Ausdehnung der horizontalen Vertiefungen und vertikalen Einschnitte und notierte die Ergebnisse auf den Rand der Karte. In das Metall war eine aus Ziffern und Buchstaben zusammengesetzte Fabrikationschiffre eingestanzt. Er kopierte sie; die Chiffre konnte bei der Auswahl des Formlings von Nutzen sein. Schlielich, den Schlssel gegen das Licht haltend, zeichnete er aus der freien Hand das Endstck des Schafts.
Er besa nun eine fachmnnisch detaillierte Beschreibung, der ein geschickter Schlosser sicher folgen konnte. Keycase sann hufig belustigt darber nach, da seine Prozedur mit dem Wachsabdrucktrick, der bei Kriminalroman-Autoren so beliebt war, kaum etwas gemein hatte, dafr aber wesentlich wirksamer war.
Nachdem er den lederbezogenen Kasten weggschlossen und die Karte zu sich gesteckt hatte, begab er sich wieder hinunter in die Halle.
Genau wie vorher wartete er, bis der Empfang alle Hnde voll zu tun hatte. Dann schlenderte er gleichmtig hinber und legte den Schlssel von 973 unbemerkt auf den Empfangstisch.
Wieder pate er auf. Als der Betrieb abflaute, entdeckte ein Receptionist den Schlssel. Teilnahmslos ergriff er ihn, warf einen Blick auf die Nummer und deponierte ihn in seinem Fach.
Keycase wurde es warm uns Herz ob seiner Meisterleistung. Durch eine Kombination von Erfindungsgabe und Geschicklichkeit hatte er die Vorsichtsmaregeln des Hotels berspielt und sein erstes Ziel erreicht.